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Die Kinder von Estorea 01 - Das verlorene Reich

Titel: Die Kinder von Estorea 01 - Das verlorene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Barclay
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und befehlt mir, einen Berg zu erklimmen. Hört Ihr denn nicht zu, Frau? Ich habe kein Geld, ich habe keine Verteidigung, und Eure Legionen schützen mich nicht. Ich versuche, den Zusammenhalt der Konkordanz gegenüber Tsard zu wahren, aber Ihr legt mir ständig Steine in den Weg. Es ist, als wünschtet Ihr, dass ich versage und dass Atreska überrannt wird.« Als erinnerte er sich jetzt erst, wo er war und mit wem er sprach, holte er tief Luft, machte das umfassende Zeichen des Allwissenden, setzte sich mit gerötetem Gesicht wieder hin und schlug die Augen nieder.
    Hinter Herine hatten zwei Wächter die Tür des Audienzzimmers geöffnet und bereits den halben Raum durchquert. Ohne sich umzudrehen, verscheuchte sie die beiden und wartete, bis die Tür wieder geschlossen war. Dann wandte sie sich an Yuran, der zu verlegen war, um ihren Blick zu erwidern. Nachdem es geschehen war, bekam sie ein schlechtes Gewissen, weil sie diesen Ausbruch provoziert hatte, und entschied sich, auf eine förmliche Zurechtweisung zu verzichten, auch wenn sie über seine mangelnde Selbstbeherrschung enttäuscht war. Seine Verzweiflung war größer, als sie vermutet hatte. Gut, dass sie es herausgefunden hatte.
    Leise und ihre Worte sorgfältig wählend, sprach sie weiter, und nach den ersten Worten hob er den Kopf. »Ich werde alles tun, was ich kann«, sagte sie. »Glaubt mir, es tut mir um jeden Bürger leid, der durch ein tsardonisches Schwert stirbt. Aber in diesem Dusas müsst Ihr lernen, Euch selbst helfen. Arbeitet mit den Legionen in Tsard zusammen. Bemannt die Festungen im Grenzland, ob die Leute ausgebildet sind oder nicht. Ermuntert Eure Bürger, sich selbst zu verteidigen, wenn Ihr sonst nichts anderes habt. Abschreckung wirkt auch gegen die tsardonischen Stoßtrupps.
    Bevor Ihr geht, und Ihr werdet gehen, ohne ein weiteres Wort zu sagen, will ich Euch an drei Dinge erinnern. Zuerst einmal lebt die Konkordanz davon, dass die Mitgliedsstaaten ihre Stärke dem Wohl des Ganzen zur Verfügung stellen. Alle haben das durchgemacht, was Ihr jetzt gerade erlebt. Alle haben es erfolgreich überstanden, weil sie den Glauben nicht verloren haben und bereit waren, sich gegen Feinde zu wehren, die sie einst für Handelspartner oder gar für Freunde hielten.
    Zweitens ist kurzfristige Strenge oft der Preis, den man für den langfristigen Wohlstand zahlen muss. Ich bemerke, dass Ihr an den Fingern und am Hals genügend Reichtum tragt, um einen großen Teil der bewaffneten Verteidigung zu finanzieren, die Ihr so dringend braucht. Vielleicht solltet Ihr zunächst Euch selbst Opfer abverlangen, ehe Ihr Euch an Eure Bürger wendet.
    Drittens bin ich nicht irgendeine Frau. Ich bin die Marschallverteidigerin von Estorea, Erste Sprecherin des Ordens der Allwissenheit und die Advokatin der Estoreanischen Konkordanz. Ihr solltet Euch genau überlegen, wen Ihr beschimpfen wollt. Es weht ein rauer Wind. Schließt die Tür hinter Euch fest, wenn Ihr geht.«
     
    Schatzkanzler Paul Jhered schritt auf der prächtigen, von Säulen eingerahmten Straße aus, die sich vom Palast entfernte. Trotz der Gamaschen und der Wollsachen, die er unter dem ledernen Brustpanzer trug, und trotz des mit Pelz gefütterten Mantels, in den er sich gehüllt hatte, drang die Kälte der Dusasnacht durch.
    Oft und gern war er diesen Weg gegangen. Die Kälte belebte ihn. An den Säulen und Bäumen hingen Laternen, die runde Lichtflecken aufs Pflaster warfen, auf denen seine mit Stahl verstärkte Stiefel laut klirrten. Die Taverna Alcarin, in der er sich mit Vasselis treffen wollte, war sicherlich die beste in Estorr, obwohl sie sich gegen starke Konkurrenz behaupten musste. Saftige Fleischgerichte, frischer Fisch aus dem Tirronischen Meer und köstliche Soßen. Beim Gedanken daran lief ihm jetzt schon das Wasser im Mund zusammen.
    An diesem stillen Abend unter dem von unzähligen Sternen gesprenkelten Himmel, während kaum ein anderer Bürger auf der Straße unterwegs war, fühlte Jhered sich unwohl. Begonnen hatte es mit der Audienz, zu der ihn die Advokatin gerufen hatte. Es war eine recht einseitige Unterhaltung geworden. Herine hatte eine Reihe von Bitten formuliert. Er sollte die Höhe der in Atreska erhobenen Steuern noch einmal überprüfen und die Aufstellung der Truppen in Tsard und an den umkämpften Grenzen einschätzen. Außerdem hatte Herine die ungewöhnliche Bitte vorgetragen, von der Ordenskanzlerin im Hinblick auf die Loyalität, die Moral und die religiöse

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