Die Kinder von Estorea 02 - Der magische Bann
Flaggschiffe hat es geschafft«, erwiderte Patonia. »Du bist unter den Ocetanas der Offizier mit dem höchsten Rang.«
»Ich weiß«, gab Iliev zu. »Was meinst du, warum ich mich so unbehaglich fühle?«
»Ich habe gehört, was die Mannschaften und die anderen Kapitäne sagen. Du bist der Mann, zu dem sie aufschauen. Du hast den Plan für den Ausbruch entwickelt.«
»Wir haben fast die Hälfte unserer Schiffe verloren.«
»Dennoch haben wir unsere Lage verbessert«, sagte Patonia. »Mehr wollen wir nicht.«
»So nennst du das also? Im günstigsten Fall liegen wir eine Tagesreise hinter ihnen. Estorr ist nur fünf Tagesreisen entfernt, wenn sich das Wetter hält. Du kennst mich, Patonia. Ich bin daran gewöhnt, unter widrigen Umständen zu kämpfen. Aber dies hier …« Er zuckte mit den Achseln. »Wir werden sie nicht einholen.«
»Falls das Wetter noch schlechter wird … mit schlechtem Wetter kommen wir besser zurecht als sie. Viel besser.«
»Zwar beten wir zu Ocetarus, aber …« Lächelnd hob er beide Hände. »Wir können nicht darauf bauen, dass ein Wunder geschieht, auch wenn wir das Wetter im Tirronischen Meer gut kennen. Was ist?«
»Nichts.« Patonia schien ein wenig belustigt. »Es ist wohl die Ironie des Schicksals, weiter nichts.«
»Was meinst du damit?«
»Vielleicht ein andermal.«
»Jederzeit in den nächsten fünf Tagen«, erwiderte Iliev. »Danach habe ich wahrscheinlich zu viel zu tun.«
Er lauschte den Trommeln, dem Herzschlag des Schiffs, spürte den Zug der Ruder. Der Bug tauchte in eine Welle hinein, Wasser spritzte aufs Deck. Unverwandt starrte er zum Horizont und fragte sich, ob die kleinen Punkte, die er zu sehen glaubte, feindliche Segel oder nur Trugbilder waren. So weit entfernt.
»Bei Ocetarus’ Herz, Patonia, kann dieses Schiff nicht schneller fahren?«
Ossacer saß im Dunkeln und hoffte, dass seine Verwirrung sich bald legen würde. Es war seit langer Zeit das erste Mal, dass er Muße und Ruhe genug hatte, um gründlich nachzudenken, wie er es gern tat. Seit sie in Kirriev die Segel gesetzt hatten, war er schweigsam gewesen. Kovan und Arducius waren so aufgeregt darüber, bald in Estorr zu sein, dass sie fast vergessen hatten, worum es eigentlich ging. Sie hatten nur Paläste, Aquädukte und prächtige Kolonnaden im Sinn. Ossacer war der Ansicht, sie kämen vielleicht zu spät und würden gar nichts mehr sehen.
So saß er allein herum und fragte sich, warum er sich ebenso von ihnen entfremdet fühlte wie Mirron. Er hörte sie jeden Abend weinen, wenn es still wurde und sie allein in ihrer Kabine war. Wenn das tagsüber gespielte Draufgängertum verflog und die Erinnerungen an Gorian ungehindert zum Vorschein kamen. Dabei war Ossacer immer noch nicht klar, ob sie ihn hasste oder vermisste.
Wenn er mit seinem Geist hinausgriff, um ihre Energien zu erkennen, entdeckte er nur Verwirrung und ein großes Durcheinander. Ganz anders als bei Jhered, der zielstrebig war und hell strahlte wie eine Laterne in der Nacht. Wie auch immer, Mirrons Gefühlsausbrüche raubten ihr die Kraft.
Allmählich klärten sich seine Gedanken. Die Stärke erwuchs aus dem Verstehen und dem Glauben an sich selbst. Nur wenn man die innere Ruhe fand, konnte man dem Allwissenden so dienen, wie er es verlangte.
Ossacer rutschte von der Koje herunter und orientierte sich mithilfe seines Bewusstseins. Die schwachen, ungerichteten Energien in der Luft wiesen ihm den Weg zu einer glatten Fläche, die in noch tieferem Schatten lag. Das war die Kabinentür. Dahinter befand sich über der Achtertreppe die Luke. Dort draußen brodelte es vor Leben und Energie. Die wallenden dichten Wolken besaßen große Kraft. Ardu gefiel es sicher, sie zu beobachten. Er war derjenige, der solche Kräfte zu wahrhaft zerstörerischen Zwecken einsetzen konnte, aber das sollte er nicht tun. Das war das Problem.
Er stieg die Leiter hinauf und spürte die Kälte im Gesicht. Sie belebte und erfrischte ihn. Seine Sinne lasen darin und gaben die Informationen an sein Gehirn weiter, das vor seinem inneren Auge eine Landkarte zeichnete. In den träge wabernden Spuren, die alles – ob Vogel oder Schiff - im Wasser hinterließ, konnte er auch die Strukturen seiner Freunde erkennen. Kovan, Arducius und Jhered standen ein Stück weiter links beisammen. Backbord, wie ihnen Kapitän Patonia immer wieder erklärte.
Arducius kam Ossacer entgegen, sobald er dessen Nähe spürte. Seine Aura war hell und zuversichtlich. Manchmal war
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