Die Kinder von Estorea 02 - Der magische Bann
Ossacer sehr neidisch auf ihn. Trotz seiner spröden Knochen war er immer so zuversichtlich und selbstbewusst.
»Ossie, warum hast du nichts gesagt? Ich wäre gekommen und hätte dir geholfen.«
»Ich komme ganz gut allein zurecht.« Er war gereizt, weil Arducius unterstellte, er sei völlig hilflos. »Überhaupt, wie hätte ich das tun sollen? Hätte ich dir einen Brief schicken sollen?«
»Ich weiß schon, aber es ist doch anstrengend, wenn du dich immer so auf die Energiebahnen einstellen musst.«
»Wie du selbst immer zu sagen pflegst, Arducius, wirst du eines Tages mal nicht da sein. Außerdem bin ich schon immer allein zurechtgekommen.«
»Schon gut«, sagte er, und in seinem Kopf waren die kühlen Brauntöne zu erkennen, die verrieten, dass er einem Streit auswich. »Ich wollte nur … du weißt schon.«
»Ja, ich weiß«, erwiderte Ossacer. »Mir tut es auch leid.«
»Ich habe nicht gesagt, dass …«
Ossacer zog die Augenbrauen hoch. »Ich muss mit dem Schatzkanzler sprechen.«
»Ich bin ganz Ohr, Ossacer«, sagte Jhered und half ihm, an der Reling einen festen Halt zu finden. »Was willst du?«
Ossacer blickte nach unten und betrachtete die dunklen Linien der Ruder im lebhaft gefärbten lebendigen Meer. Er fühlte sich beklommen, sein Herz pochte heftig, und all die Worte, die er sich zurechtgelegt hatte, waren auf einmal vergessen.
»Ich kann nicht.« Er packte die Reling fester. »Es ist nicht richtig. Ich kann einfach nicht, ich kann es nicht mehr tun. Ich will auch nicht.«
Der Schatzkanzler kniete sich vor ihn, und Ossacer erkannte die Sorge in den Linien, die Jhereds Gesicht ausmachten. »Beruhige dich, junger Mann. Lass dir Zeit. Sag mir, was los ist.«
Ossacer nickte. »Wir müssen uns selbst treu bleiben. Wir können nur die Werke verrichten, für die wir hierhergeschickt wurden. Aber ich kann und will nicht tun, was Ihr jetzt von uns erwartet. Der Allmächtige hat mir das Leben geschenkt, um Menschen zu helfen und sie zu heilen. Nicht um sie zu töten.«
Jhered zog sich ein wenig von ihm zurück. »Darüber haben wir doch schon gesprochen. Was auf der Hochebene geschehen ist, war ein Fehler, ein Unfall. Niemand wollte, dass es so weit geht. Was ich jetzt von euch erbitte, wird niemanden umbringen.«
»Aber Mirron hat mit ihrem Feuer getötet. Der Sturm und der Schnee … das Werk mit dem Meer und dem Himmel, das wir als Nächstes vollbringen sollen, hilft vielen Leuten, andere Menschen zu töten. Das will ich nicht mehr tun. Ich kann nicht.«
Jhered rang mit seinem Zorn. Sein Umriss wurde härter, seine Farben wechselten zu einem dunklen Purpur, das sich bald wieder in ein ruhigeres, bläuliches Braun verwandelte.
»Ossacer, ich hoffe, du sagst nicht das, was ich glaube gehört zu haben. Alle, die du liebst, sind in Gefahr. Ihr drei Aufgestiegenen habt die einzigartige Gelegenheit, die Konkordanz zu retten und gleichzeitig allen Zweiflern und jenen, die euch als Ketzer verurteilen, euren Wert zu beweisen. Welch bessere Rechtfertigung könnte es denn noch für das geben, was ich euch zu tun bitte?«
Ossacer errötete, und die Tränen schossen ihm in die Augen. »Die Menschen werden uns immer hassen, wenn wir ihnen vor Augen führen, wie leicht wir töten oder Stürme und andere Naturgewalten hervorrufen können. Wie könnten sie uns da noch vertrauen? Ich kann nicht mit dem Wissen leben, dass so viele Leute uns fürchten und hassen.«
»Kannst du denn mit dem Wissen leben, dass die Autorität, deine Eltern und alle anderen in Westfallen getötet wurden?«
»Das ist ungerecht«, warf Kovan ein. Seine Unterstützung kam unerwartet, war jedoch sehr willkommen. »Dafür könnt Ihr ihn nicht verantwortlich machen. Die Invasion der Tsardonier war nur möglich, weil wir unsere Heere zu weit verteilt und in Scintarit eine Niederlage erlitten haben. Wenn Ihr schon jemandem die Schuld geben müsst, dann beschuldigt die Advokatin.«
Jhered knurrte. »Gott umfange uns, aber du bist wirklich der Sohn deines Vaters. Wir reden hier nicht über Schuld. Die Invasion ist geschehen. Jetzt müssen wir jede Waffe einsetzen, die uns zur Verfügung steht. Es tut mir leid, Ossacer, aber das schließt auch dich ein.«
Ossacer schüttelte den Kopf. »Ich will es nicht tun«, sagte er leise und unterdrückte seine Angst. »Vater Kessian hat uns immer gesagt, wir sollten unsere Fähigkeiten für den Frieden einsetzen. Das haben wir eine Zeit lang vergessen. Jetzt habe ich mich erinnert. Ich bin erwacht.
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