Die Kinder von Estorea 02 - Der magische Bann
Zustand. In der Scheide, die er an der Hüfte trug, steckte zweifellos ein sorgfältig geschärfter Gladius.
»Sie hat Euch gefunden. Ich wusste, dass es ihr gelingen würde.« Nunan warf einen warmen Blick zu Kell.
»Und nun sind wir hier«, sagte Roberto. »Wie viele habt Ihr bei Euch?«
»Wir finden immer noch Überlebende aus Scintarit«, erklärte Nunan. »Flüchtlinge, die aus tsardonischen Gefängnissen entkommen sind, und andere, die sich in den Halorianbergen verlaufen haben oder in Richtung der Toursanischen Seenplatte geflohen sind. Mit ihnen konnten wir dank unserer Plündertrupps und der vorausgeschickten Späher Verbindung aufnehmen. Wir werden wohl nie genau erfahren, wie viele unwiederbringlich verloren sind, aber als ich unser Lager verließ, hatten wir genau dreitausendvierhundertdreiundsiebzig Leute. Viele sind allerdings nicht kampffähig, einige werden es nie mehr sein. Immerhin können wir etwas bewirken. Wir haben den Nachschub nach Atreska gestört, stehen allerdings unter zunehmendem Druck der Steppenkavallerie, die von der Taritebene aus nach Süden bis zu den Furten das Gebiet kontrolliert. Sie wissen, dass Ihr hier seid und nach Süden marschiert, und das macht ihnen Sorgen. Ich glaube jedoch nicht, dass Ihr auf nennenswerten Widerstand stoßt, bis Ihr Gestern erreicht oder im Süden die Grenze von Atreska überschreitet.«
»Das verstehe ich nicht«, wandte Davarov ein. »Wenn sie wissen, dass wir ihre Nachschubtransporte angreifen, warum bewachen sie die Wagen dann so unzulänglich? Der Zug, den wir erledigt haben, hätte niemals einem entschlossenen Angriff widerstehen können, ob sie ihn nun kommen sahen oder nicht.«
Nunan spreizte die Finger beider Hände. »In ihrem übergroßen Selbstbewusstsein sind sie dem Verhalten nicht unähnlich, das wir bis vor Kurzem selbst an den Tag gelegt haben. Ich kann nur raten, aber die Tatsache, dass sie einen so großen Teil ihrer Armee nach Norden, Süden und Westen verlegt haben, lässt vermuten, dass sie trotz der Behinderung des Nachschubs siegesgewiss sind. Außerdem gehen sie wohl davon aus, dass sie zusätzlich Nachschub aus Atreska bekommen können.« Er betrachtete die Versammlung im Zelt, bis sein Blick auf den beiden Atreskanern Shakarov und Davarov haften blieb. »Ihr wisst es noch nicht, oder?«
Auf einmal lief es Roberto kalt den Rücken herunter. »Was denn?«
»Der Versorgungszug, den Ihr angegriffen habt – es versetzt mich in Erstaunen, dass er überhaupt durch Scintarit gefahren ist. Wir haben seit zwanzig Tagen keinen solchen Zug mehr gesehen. Wir hatten angenommen, etwaige Verstärkungen würden entweder nach Norden oder nach Süden umgeleitet, und dies umso mehr, da wir hier in dieser Gegend sind. Außerdem müssen sie ihre Truppen in Atreska nicht selbst mit Nachschub versorgen.«
»Was redet Ihr da?«, verlangte Shakarov zu wissen.
»Atreska ist abtrünnig geworden«, sagte er. »Sie kämpfen auf der Seite der Tsardonier, nicht gegen sie.«
Davarov und Shakarov waren sofort aufgesprungen. Kell und Nunan folgten ihrem Beispiel.
»Ihr lügt!«, fauchte Shakarov.
Nunan erwiderte gleichmütig seinen Blick. »Nennt mich einen Lügner, wenn Ihr wollt. Aber ich bemühe mich hier seit fünfzig Tagen, am Leben zu bleiben, während an jeder Wegkrümmung und jeder Biegung des Flusses tsardonische Truppen lauern. Ich bin hier, weil ich glaube, dass es wichtig ist, alle nur erdenklichen Informationen zu sammeln und den Nachschub zu stören, so gut ich es vermag. Mit eigenen Augen habe ich auf allen Festungen an der Grenze die Flaggen des alten Atreska wehen sehen. Ich habe Tsardonier beobachtet, die neben ihren atreskanischen Verbündeten auf den Wällen standen.« Er schob Kell zur Seite. »Nennt mich einen Lügner.«
Roberto achtete kaum auf sie. Wie ein Erdrutsch überkam ihn die Erkenntnis, was dies zu bedeuten hatte. Er massierte mit der linken Hand seine Stirn.
»Setzt euch, setzt euch. Alle.« Er wartete, bis er hörte, dass sie wieder Platz genommen hatten. »Gut. Ich kann Eure Erregung verstehen, aber das hatten wir doch schon einmal, oder?« Er sah seine atreskanischen Kommandanten scharf an. »Wir wollen in aller Ruhe darüber nachdenken. Die Hälfte der Bürger außerhalb dieses Zelts sind Atreskaner, und was Nunan gesagt hat, betrifft sie alle.«
»Wie weit sind Eure Späher in mein Land vorgestoßen?«, knurrte Shakarov.
»Bis nach Haroq«, erklärte Nunan. »Auch auf Yurans Türmen wehen die alten
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