Die Kinder von Estorea 02 - Der magische Bann
heraufbeschworen hatte, der ihre Reise beschleunigen und den Ruderern eine Pause verschaffen sollte. Ossacer dagegen hatte die vielen Blessuren behandelt, unter denen die Seeleute auf langen Reisen stets litten – Blasen, infizierte Schnittwunden, einige Knochenbrüche. Nichts Ernstes. Jetzt waren die beiden müde und wirkten erschöpft.
»Erklärt mir noch einmal, warum ihr euch so verändert«, verlangte Jhered. »Ich meine, warum ihr so alt ausseht.«
»Das liegt daran, dass alles, was wir tun, auf den Lebenszyklen der Energien beruht, die wir beeinflussen«, sagte Arducius. »Wenn Ihr darüber nachdenkt, wird es schnell klar. Wenn wir einen Baum wachsen lassen, machen wir ihn auch älter, da wir seinen Lebenszyklus beschleunigen. Das Gleiche gilt, wenn ich aus einer Brise einen starken Wind mache oder aus etwas Feuchtigkeit im Himmel Wolken forme. Dies zwingt das Potenzial einer Energieform zur Beschleunigung. Da dies alles durch unsere Körper geleitet wird, nutzen wir unweigerlich unsere eigenen Körper als Katalysatoren. Je mehr Energie wir einsetzen, desto älter werden unsere Körper. Aber für uns ist dieser Effekt wenigstens ein vorübergehender.«
Jhered runzelte die Stirn. »Warum ist es für euch vorübergehend?«
Ossacer zuckte mit den Achseln. »Weil uns schließlich wieder die ungebundene Energie von allem, was lebt, erfüllt.«
»Offensichtlich«, murmelte Jhered.
»Versteht Ihr es nicht?«, fragte Arducius etwas boshaft und mit funkelnden Augen.
»Mach dich nicht über mich lustig, Junge«, erwiderte Jhered, auch wenn die Ermahnung nicht ganz ernst gemeint war. »Ich verstehe erheblich mehr, als du glaubst. In diesem Fall hätte ich allerdings gern Orin D’Allinnius dabei. Er hätte an deinen Erklärungen sicher mehr Gefallen gefunden als ich.«
Arducius nickte und wurde wieder ernst. »Wird er wieder gesund?«
»Das weiß ich nicht«, seufzte Jhered. »Er war sehr krank, als ich ihn das letzte Mal sah, aber er hat einen starken Geist.«
»Es ist eine Schande«, meinte Ossacer. »Ich konnte ihn gut leiden.«
»Jeder mochte ihn«, stimmte Jhered zu.
»Nicht jeder.« Kovan riss sich davon los, Mirron und Gorian zu beobachten. »Der Orden muss zur Rechenschaft gezogen werden. Dafür werde ich sorgen.«
»Nein«, ermahnte Jhered ihn mit erhobenem Finger. »Nicht der Orden. Nur einige von denen, die seine Gewänder tragen und sich hinter den Schriften verschanzen. Aber du hast recht, sie muss zweifellos zur Rechenschaft gezogen werden. Weißt du, Kovan, wenn du in die Fußstapfen deines geschätzten Vaters treten und in der Konkordanz ein hohes Amt bekleiden willst, dann musst du lernen, deine Worte vorsichtiger zu wählen.«
Kovan zuckte mit den Achseln. »Wenn Ihr meint.« Damit wandte er sich wieder zum Meer um.
»Ich glaube, er hat im Augenblick etwas anderes im Kopf«, warf Ossacer kichernd ein.
»Halt den Mund, Ossie«, fauchte Kovan, während er rot anlief.
Jhered schmunzelte darüber, aber zugleich, während er den Rücken des Jungen anstarrte, beunruhigte ihn etwas anderes.
»Wie kannst du das wissen, Ossacer?«, fragte er.
»So ist das schon seit Jahren«, sagte Ossacer. »Außerdem sehe ich seinen Umriss in den Energiebahnen, wenn ich es will. Wann immer er Mirron anschaut, pulsieren seine Energien sehr hell. Daher weiß ich es.«
»Was du nicht sagst. Und was sagen dir meine Energien?«
Ossacer betrachtete ihn kurz. »Ihr werdet lange leben, weil Ihr Eure Energien nicht verschwendet. Aber Ihr wisst nicht, was Ihr von uns halten sollt. Wir machen Euch nervös, und Ihr seid nicht daran gewöhnt, nervös zu sein. Das sehe ich, weil Eure Energien in unserer Nähe unruhig werden, obwohl Ihr sonst so ruhig und beherrscht seid. Außerdem mögt Ihr Kinder nicht besonders gern, nicht wahr?«
»Was?«
»Das hat nichts mit den Energiebahnen zu tun, den Eindruck habe ich einfach so«, sagte Ossacer.
»Tja, danke für deinen Einblick in meinen Geist.«
»Aber es ist doch wahr, oder?«
Jhered drehte sich halb um und räusperte sich. »Ich bin nur nicht daran gewöhnt, Kinder in der Nähe zu haben, das ist alles.«
Verdammt, der Bursche hatte recht. Seine Unsicherheit war im Augenblick deutlich zu sehen, und die Tatsache, dass Ossacer es erkennen konnte, machte es noch schlimmer. Jhered wollte möglichst rasch das Thema wechseln. Weit entfernt, auf dem Gebirgszug, der sich wie ein Rückgrat durch ganz Gestern zog, stiegen Rauchwolken auf. In der Nacht waren dort die Signalfeuer
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