Die Kinderhexe
sein lächerliches Vorhaben, mit Schlägen einen gottesfürchtigen Christenmenschen aus ihr zu machen. Wie kläglich war er damit gescheitert. Am Ende hatte ihn die Rache seines eigenen Fleischs und Bluts eingeholt. Jetzt verfaulte er im Loch vom Grünenbaum. Recht war ihm geschehen.
Nun aber wollte sich ein zweiter Grein an ihr versuchen. Nur zu, sagte sie sich und spuckte voller Abscheu auf die Rute.
«Du wagst es?», hörte sie Faltermayer fassungslos sagen.
Ja, das tat sie aus der todesverachtenden Überzeugung heraus, dass Teufel wie Grein und Faltermayer es nicht wert waren, alles zu verraten, was ihr heilig war. Sie schloss die Augen in Erwartung der inzwischen vertrauten Pein.
Der erste Schlag war immer der schlimmste. Er traf sie quer über den Rücken und drohte ihr die Luft zu nehmen. Sie fiel nach vorne, atmete tief ein, um dann trotzig in die geforderte Ausgangslage zurückzukehren. Damit kam sie zum zweiten Akt der Unterweisung.
Ohne dass Faltermayer es von ihr gefordert hatte, begann sie das Vaterunser zu beten.
«Pater noster, qui es in caelis …»
Das Vaterunser sprach sie, so wie sie es im Grein’schen Haus gelernt hatte, auf Latein – der Sprache der Unterdrücker und Folterer.
Adveniat regnum tuum
– Dein Reich komme.
Auf jede Zeile folgte ein Schlag. Faltermayer hielt überraschenderweise den vertrauten Takt. Das musste den Kerlen im Blut liegen.
Fiat voluntas tua
– Dein Wille geschehe.
Das war die längste Zeit so. Wenn es Grein schon nicht geschafft hatte, sie mit seinen Schlägen zu einem besseren Christenmenschen zu machen, dann würde Faltermayer sie auch nicht zu einem Hexengeständnis bringen.
Sicut in caelo, et in terra
– Wie im Himmel so auch auf Erden.
Wenn sie etwas aus den Jesus-Darstellungen gelernt hatte, dann das, dass der Schmerz irgendwann zu Ende war. Man musste nur Golgatha hinter sich bringen.
Et ne nos inducas in tentationem
– Und führe uns nicht in Versuchung …
Doch, immer wieder würde sie sich gegen die Versuchung auflehnen, unter der Rute der Tyrannen zu verstummen.
Sed libera nos a malo
– sondern erlöse uns von dem Bösen.
Brennen sollt ihr, verdammte Teufelsbrut. Und wenn nicht durch Gottes Hand, dann durch die Hand eines Kindes.
Amen.
Mit dem letzten Wort sank sie zu Boden und verlor das Bewusstsein.
Der Schlüssel war gerade in Volkhardts Händen gelandet, als die Tür zum Kerkergang geöffnet wurde und Pfarrer Ludwig hereinkam.
«Ihr könnt nicht lange bleiben», sagte der Folterknecht zu ihm. «Meister Faltermayer hat jeden Besuch der Gefangenen untersagt. Er wird mich bestrafen, wenn er Euch hier findet.»
«Sorge dich nicht», antwortete Ludwig und zog Felicitas’ Rosenkranz aus der Tasche. «Gegen ein Gebet und die heilige Beichte wird auch Meister Faltermayer nichts haben.»
Der Knecht gab sich damit zufrieden. Dann schloss er die Zelle auf, in der die Kinder der Schwarzen Banden untergebracht waren.
«Soll ich nicht doch bleiben?», fragte er wachsam. «Es wäre sicherer. Es sind sechs Teufelskinder gegen einen Priester.»
Ein Mitwisser war das Letzte, was Ludwig brauchen konnte. «Und wenn es die ganze Höllenschar wäre, mir ist nicht bang. Ich gehe im Namen des Herrn.»
Ob dieser Schutz wohl ausreichte, fragte sich der Knecht. «Wie Ihr wollt. Wenn die Bastarde doch zu wild werden, dann ruft mich. Ich bin draußen vor der Tür.»
Ludwig bedankte sich, wartete, bis der Knecht die Tür hinter sich geschlossen hatte, und ging dann in die Zelle.
Die sechs Teufelskinder schienen keinen Besuch erwartet zu haben, zumindest nicht den eines Priesters. In ihren schmutzigen Gesichtern spiegelten sich Überraschung, Zorn und bei einem Kind Scham. Wie alle hier hausten sie auf dem Steinboden, der mit altem Stroh, Exkrementen und Blut bedeckt war. Offenbar hatte ein Kampf zwischen ihnen stattgefunden, und wenn sich Ludwig nicht irrte, dann hatte der Junge, der sich schämte und schüchtern dreinschaute, eine Tracht Prügel bezogen.
Der scharfe Gestank von Urin und verfaultem Stroh fuhr Ludwig in die Nase, sodass es ihm den Atem verschlug. Wenn er nicht eine Aufgabe gehabt hätte, wäre er keine Minute länger in dieser Jauchegrube geblieben. Diese Kinder waren wahrlich Tiere, anders konnte man es in dieser Hölle nicht aushalten.
«Was willst du, Pfaffe?» Der Größte unter ihnen war vorgetreten und hatte sich Ludwig in den Weg gestellt. Er schien der Anführer zu sein. «Wir haben nicht nach dir
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