Die Kinderhexe
Hexen erkennen sollte. Doch was Ludwig nicht wusste, war, dass Grits Komplize sein Bruder war. Mit ihm hatte er den einen oder anderen Überfall auf ahnungslose Reisende durchgeführt. Er kannte also Grits Geheimnisse und dass sie alles andere war als eine von Gott bestellte Anklägerin.
«Nur wer den Pakt mit dem Teufel unterzeichnet hat», antwortete Jörg, «weiß um die Gemeinschaft von Hexen und Unholden. Grit gehört nicht dazu. Sie ist eine Lügnerin.»
Zum Beweis streifte er den Ärmel seiner Jacke zurück. Ein erbsengroßes Muttermal wurde sichtbar. «Seht, was geschieht, wenn ich hineinsteche.» Er bohrte seinen spitzen Fingernagel hinein. «Kein Blut, seht Ihr? Ich wette, das kann Eure Grit nicht.»
Ein Muttermal, das nicht blutete, wenn man hineinstach, war ein untrüglicher Beweis. Jedem Hexenkommissar hätte das als Beweis für den Teufelspakt genügt.
«Dieser Trick ist auf dem Jahrmarkt schon keinen Kreuzer mehr wert», sagte Volkhardt, der unvermittelt in der Tür aufgetaucht war. In der Hand hielt er sein Messer. «Lass es uns doch damit noch mal versuchen.» Er tippte mit dem Finger auf die Messerspitze. «Ich wette, danach kannst du mit deinem Blut den Boden tränken.»
Jörg und die anderen Kinder schreckten zurück. Mit ihrem ehemaligen Anführer Volkhardt hatten sie nicht mehr gerechnet, und schon gar nicht hier in den Kerkerzellen vom Juliusspital.
Auch Ludwig war überrascht. Wo kam dieser Junge so plötzlich her? Er hatte doch dem Folterknecht eingeschärft, ungestört bleiben zu wollen. Außerdem hatte er die schwere Kerkertür nicht gehört, die hätte aufgesperrt werden müssen, um hier herunterzukommen.
«Wer bist du?», fragte er ihn.
«Ich bin Volkhardt von Hohenstätt», antwortete er, «Anführer der Schwarzen Banden.»
«Ehemaliger Anführer», widersprach Jörg. «Du hast uns nichts mehr zu sagen.»
«Ich habe davon gehört», erwiderte Volkhardt, «ihr habt jetzt einen neuen Hauptmann. Wo ist er eigentlich?»
Er schaute sich um, als erwarte er ihn tatsächlich an der Seite seiner Soldaten.
«Er kommt bald, um uns zu befreien.»
Volkhardt lächelte amüsiert. «Wenn ihr das tatsächlich glaubt, seid ihr dümmer, als ich gedacht habe. Lorentz hat euch aufgegeben.»
«Lügner.»
«Schau dich um. Kannst du deinen Hauptmann hier irgendwo sehen? Wenn mich nicht alles täuscht, hat er euch Faltermayer zum Fraß vorgeworfen. Morgen landet ihr wie alle auf dem Scheiterhaufen.»
Der Schreck fuhr Jörg und den anderen fünf in die Glieder. Besonders der Junge mit den schüchternen Augen schien getroffen.
Er schniefte. «Aber Lorentz wird uns doch nicht alleinlassen?»
Volkhardt beugte sich zu ihm hinunter. «Ich fürchte doch. Er hat euch betrogen.»
«Lügner», wiederholte Jörg scharf. «Lorentz würde uns nie im Stich lassen.»
Die Situation war günstig, dachte Pfarrer Ludwig. Wenn er dazu beitragen konnte, Zwietracht unter den Jungen zu säen, sollte es nicht zu seinem und Grits Schaden sein. Damit hätte er das Problem mit der Glaubhaftigkeit der Teufelskinder gelöst.
«Ich habe mit Meister Faltermayer gesprochen», schaltete sich Ludwig ein, «und ich muss eurem Anführer recht geben. Er hat sechs weitere Scheiterhaufen geplant.»
Hätte Volkhardt nicht jede Unterstützung gebrauchen können, die sich ihm bot, wäre er diesem lügnerischen Pfarrer übers Maul gefahren. Aber in diesem Fall sollte es ihm egal sein. Er musste sie schnell auf seine Seite ziehen und noch schneller die Kerker verlassen, bevor die Folterknechte zurückkamen.
«Ich kann euch in die Freiheit führen», sagte er. «Doch dafür will ich, dass ihr Lorentz abschwört und wieder zu meiner Bande gehört.»
«Niemals», antwortete Jörg mehr verzweifelt als überzeugt. «Lorentz hat uns ein besseres Leben versprochen. Mit dir kehren wir wieder in die Keller zurück.»
Mit dieser Meinung war Jörg alleine. Als Erster wechselte der schüchterne Junge die Seiten, die anderen vier folgten ihm zögernd.
«Bleibt hier», befahl Jörg, «Lorentz wird euch dafür bestrafen.»
«Sei kein Narr», erwiderte Volkhardt und bot ihm seine Hand. «Komm mit mir in die Freiheit.»
Der schwere Schlüsselbund klirrte jenseits der Kerkertür, der Knecht kehrte zurück.
«Komm jetzt», beschwor ihn Volkhardt, «oder brenne auf dem Scheiterhaufen.»
Jörg zögerte – einen Moment zu lang, denn Ludwig schaltete schnell. Wenn die Teufelskinder unter seiner Aufsicht ausgebrochen waren, würde Faltermayer ihn
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