Die Kinderhexe
der Hexe verraucht. Nun fragte man sich, welchen Schaden das Teufelsweib vor ihrer Festnahme noch angerichtet und wen sie mit ihrem Gift angesteckt haben mochte. Einige Namen wurden gehandelt.
Das war eine gute Gelegenheit. Grit schnappte sich einen Jungen.
«Sag, kennst du Babette?»
«Die alte Amme?», antwortete er.
«Wenn es die Kräuterfrau aus dem Wald ist …»
Der Junge hielt Ausschau. «Vorhin habe ich sie noch drüben am Fluss gesehen», sagte er und deutete zum Main hinüber, wo die Ersten mit ihren Booten wieder die Heimreise antraten.
«Wie erkenne ich sie?»
«Sie geht gebeugt und trägt einen geflochtenen Korb mit leckerem Honig darin. Du kannst sie nicht verpassen.»
Grit machte sich auf den Weg, an den Scheiterhaufen vorbei. Sie mochte nicht zu den Pfählen schauen, sondern hielt den Blick starr auf den Fluss gerichtet. Hinter sich hörte sie hier und da höhnische Bemerkungen eifersüchtiger Ehefrauen, deren Männer mehr Zeit in ihrer Gaststube verbrachten als bei ihnen zu Hause. Sie achtete nicht weiter darauf, obwohl man in diesen Tagen üble Nachrede ersticken sollte, sobald sie aufkam. Die Glöcknerin hatte das nicht getan und war genau deshalb auf dem Scheiterhaufen gelandet.
Das hatte ihr der Malefizschreiber erzählt. Einmal die Woche kam er in den Stachel und berichtete bei einem Becher Wein vom Fortgang der Verhöre. Unantastbar sei die Glöcknerin einst gewesen, hatte er immer wieder gesagt. Ihr Geld und die Protektion durch den Stadtrat hatten sie lange vor Verfolgung geschützt. Als sie aber gleich von dreien, die ihr Geld schuldeten, besagt wurde, wollte niemand mehr ihr zur Seite stehen.
Das würde Grit nicht passieren. Die vielen kleinen Geheimnisse, die sie im Stachel hörte, würde sie zur rechten Zeit zu nutzen wissen. Das war ihre Lebensversicherung. Da konnten die närrischen Weiber ihr noch so viele Verwünschungen an den Kopf werfen. Wenn sie brannte, würde die halbe Stadt mit ihr im Feuer untergehen.
Grit fand schließlich ein gebeugtes Weib an der Bootsanlegestelle. Sie verkaufte Beeren, Kräuter und kleine Töpfe aus ihrem Korb heraus. An ihren Rockzipfeln hingen Kinder, die um Essen bettelten. Bereitwillig öffnete sie einen Honigtopf und verteilte mit einem Spatel die süße Ware direkt in die kleinen Hände.
«Das ist guter Honig aus den Wäldern», sagte sie. «Der hält gesund und wird euch schmecken.»
Grit zwängte sich durch die Reihen. Es war nicht leicht, zu der Alten durchzudringen.
«Entschuldigt, seid Ihr die Amme Babette?»
Die Kinder waren von der vermeintlichen Konkurrenz gar nicht begeistert. Unwillig zerrten sie an ihrem Kleid.
Grit schlug die kleinen Hände weg.
«Lass sie», sagte Babette versöhnlich. «Sie glauben, du willst ihnen etwas wegnehmen.»
Ihr von Falten durchzogenes Gesicht ließ sie wenig ansehnlich erscheinen. Eines ihrer Augen war obendrein geschlossen, was sie noch eine Spur verdächtiger machte. Vermutlich fehlte es. Trotz dieser Umstände war der Blick schnell von einem warmen und offenen Lächeln gefangen.
«Ich will nichts stehlen», antwortete Grit, «ich will etwas ganz anderes von Euch.»
Babette schien kurz zu überlegen, was dieses Mädchen von ihr wollen könnte. Wobei, ein Mädchen war sie ganz offensichtlich nicht mehr. Ihre weiblichen Formen zeigten, dass sie auf der Stufe zur jungen Frau stand. In diesem Alter wollten alle Frauen von einer Kräuterfrau eigentlich nur eins.
«Du willst eine Medizin. Habe ich recht?»
Grit nahm sie zur Seite.
«Ich hörte, Ihr versteht, jeden beliebigen Trank herzustellen.»
«Der Garten des Herrn ist reich bestellt», antwortete Babette.
Jede Zweite suchte durch einen Liebestrank einen Mann für sich zu gewinnen. Dabei waren die Mixturen reiner Mumpitz. Unwissende Giftmischer stellten sie her, die mit der Gutgläubigkeit der Mädchen einen schnellen Gulden machen wollten. Im besten Fall kam der Angebetete mit Durchfall davon, bisweilen ging er qualvoll daran zugrunde.
«Ich muss dich enttäuschen, liebes Kind, ich stelle keine Liebestränke mehr her.»
Grit verneinte. «Ihr irrt. Nicht an der Zuneigung ist mir gelegen, sondern an etwas anderem. Versteht Ihr?»
Nein, Babette verstand nicht. «Ich bin mir nicht sicher, was du meinst.»
«Ich benötige einen Trank, der eine Person unausstehlich macht. So, dass man es mit ihr nicht mehr aushält.»
Nun bekam Babette eine Ahnung, wonach dieses junge Ding verlangte. Sie seufzte. «Es ist ohnehin schon zu viel Unheil
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