Die Kinderhexe
ich nicht», wiederholte Kathi, «soll sie sehen, wer ihr den verflixten Trank braut.»
Sie drehte sich zu Babette um, die einen Ranken Brot in das Mus tauchte und ihn Kathi reichte.
Barbara hingegen suchte zu retten, was zu retten war. «Hab noch etwas Geduld», sagte sie zu Grit, «ich werde sie umstimmen. Ich verspreche es.»
«Wieso willst du ausgerechnet sie umstimmen wollen?»
«Weil sie in der Apotheke arbeitet und jede Medizin herstellen kann.»
Dieses kleine Ding sollte tatsächlich in der Zubereitung von Medizin bewandert sein? Wenn das stimmte, dann hatte sie leichtes Spiel. Ein Kind umzustimmen war nicht schwer. Da genügte eine Mahlzeit.
Grit nahm Barbara an der Schulter und führte sie weg. «Du bist dir sicher, dass das deine Freundin für mich machen kann? Kennt sie denn die geheimen Mixturen?»
Barbara nickte. «Sicher. Sie hat es doch bei Babette gelernt. Außerdem arbeitet sie in der Apotheke.»
Wenn das so war … «Wie willst du es anstellen?»
«Wir werden mit ihr sprechen», versprach Barbara, und Otto nickte dazu.
Von den dreien unbemerkt, braute sich hinter ihnen Unheil zusammen. Ein Stadtknecht war auf Babette aufmerksam geworden. Wie bei allen Händlern ließ er sich zeigen, womit sie handelte. Doch irgendwie hatte er es falsch angestellt. Babette hielt ihren Korb fest, und Kathi biss dem Stadtknecht in die Hand. Ein Schlag beförderte sie zu Boden.
Als Barbara und Otto das sahen, vergaßen sie jede Angst, die sie vor einem Stadtknecht hatten. In diesem Korb befand sich das Mittag- und Abendessen der Kinder. Wenn er ihn konfiszierte, waren sie die einzige Mahlzeit los, die sie heute bekommen würden. Sie eilten herbei und wehrten den stämmigen Kerl ab.
Grit sah dem ungleichen Kampf verwundert zu. Was war nur mit diesen Kindern los, dass sie gegen einen Stadtknecht aufbegehrten? Wenn er wollte, würde er sie vor den Schultheißen bringen, und ein Dutzend Hiebe mit dem Stock wären ihnen sicher.
Was Grit nicht verstand, war für Kathi und ihre Freunde eine Frage des Überlebens. Es ging nicht allein um den Korb und dessen Inhalt. Wenn Babette etwas geschehen würde, wären sie ihrer letzten Hilfe beraubt. Wer sollte sie dann noch mit Essen versorgen, wer ihnen Trost und Hoffnung spenden?
Otto griff in seine Hosentasche. Irgendwo hatte er doch noch den Eisenstift, den er in der Schmiede für das Fuhrwerk angefertigt hatte. Als er ihn endlich gefunden hatte, stach er mit aller Entschlossenheit zu. Der Stadtknecht schrie auf. Aus seinem Bein rann Blut.
In seinem verzerrten Gesicht spiegelte sich die Frage, wie es sein konnte, dass Kinder sich gegen einen Stadtknecht erhoben? Wieso stand dieser Zwerg mit einem Nagel in der Hand vor ihm? Waren sie tollwütig geworden, oder ging es hier nicht mit rechten Dingen zu? Das alte Weib musste sie verhext haben. Er rief die anderen Stadtknechte herbei, die nicht weit entfernt für Ruhe und Ordnung sorgten.
Der Vorfall hätte keine besondere Beachtung verdient, Raufereien gab es allenthalben, wenn sich in diesem Moment nicht Kolk mit einem grässlichen
Kraah
! auf Babettes Korb niedergelassen hätte.
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6
Der neue Schultheiß Isidor Weigand hatte sich gerade mit Doktor Dürr und den Schöffen zur obligatorischen Gerichtsmahlzeit niedergelassen, als ein Stadtknecht die Gaststube betrat.
«Euer Gnaden», sagte er, «Ihr müsst kommen. Wir haben einen sonderbaren Fang gemacht.»
Weigand, der vor einem reich bestellten Tisch saß und sich auf eine der letzten Bratgänse freute, die der Wirt hatte aufbringen können, dachte nicht im Traum daran, sich diesen Festschmaus entgehen zu lassen.
«Sperrt euren sonderbaren Fang in den Keller. Nächste Woche ist wieder Gerichtstag.»
Der Stadtknecht ließ nicht locker. «Verzeiht, Herr, aber ich fürchte, so lange kann es nicht warten.»
«Selbst wenn der Leibhaftige draußen vor der Tür stünde, ließe ich ihn warten, bis ich mein Mittagsmahl beendet habe. So eine Gelegenheit kommt so schnell nicht wieder.»
Die Schöffen stimmten ihm schmunzelnd zu und sicherten sich ihrerseits einen Teil von der Schlachtplatte. Selbst der stille Doktor Dürr, der wie ein dunkler, schwarzer Schatten zwischen ihnen saß, ließ sich zu einem Lächeln hinreißen.
«Ein altes Weib hat sich in der Nähe der Scheiterhaufen herumgetrieben», berichtete der Stadtknecht.
«Am Brandtag sind viele alte Weiber unterwegs», antwortete Weigand, während er ein Stück aus der Gänsebrust biss,
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