Die Kinderhexe
sündhafte Schultheiß Haag und die verdorbene Witwe Glöckner hingegen sahen dem Tod auf dem Scheiterhaufen entgegen. Ihre Taten waren zu schändlich, als dass sie gemildert werden konnten.
Die Glöcknerin hatte bekannt, in fünf Ehen Unfrieden gestiftet zu haben, sodass ein Ehemann in tiefe Gram gefallen war und eine andere Ehefrau sich das Leben genommen hatte. Außerdem hatte sie mindestens zehn Stück Milchvieh verhext. Die ausbleibende Milch führte zum Hungertod von drei Familien. Und schließlich die schlimmste aller Taten, für die es nach der Bibel auch nur den schlimmsten aller Tode geben konnte: Die Glöcknerin war für den siechenden Tod von sechs Säuglingen verantwortlich, indem sie ihnen unerklärliche Krankheiten angezaubert und alle Bemühungen auf Genesung hintertrieben hatte.
Der Schultheiß Haag wiederum hatte unter anderem sieben Handwerkern zu Unrecht eine Strafe auferlegt, sodass die Angehörigen gezwungen waren, am Bettelstab zu gehen. Fünf unschuldige Handwerker seien infolgedessen gestorben. Des Weiteren sei er mehrmals in die Keller gefahren und habe den Wein sauer gemacht. Drei Häcker hatten deswegen Haus und Hof verloren. Ein Zeuge wollte Haag gar dabei ertappt haben, wie er mehrere Kirchen plünderte und die Hostien schändete.
Solch verdorbene Leute hatten es nicht anders verdient, als den schrecklichsten aller Tode zu sterben.
Über die Bestrafung Johannas schwieg der Gerichtsschreiber sich aus. Es war, als sei sie zwar angeklagt und verurteilt worden, doch als würde sie ungeschoren davonkommen. Erst später wurde bekannt, was in den Morgenstunden passiert war. Um den Schrecken, den Johannas Anklage bei den Bürgern ausgelöst hatte, nicht weiter zu nähren, entschied sich Dürr für eine nicht öffentliche Exekution. Er hatte zwanzig Vertreter aus dem Stadtrat, dem Domkapitel und den Ständen in den Kanzleihof geladen. Nach einem kurzen Gebet wurde Johanna vorgeführt. Auf die Verlesung des Urteils folgte die sofortige und gnadenreiche Vollstreckung mit dem Schwert. Johanna soll bis zu ihrem Ende ein Kinderlied gesungen haben. Um was es sich dabei handelte, konnte niemand im Nachhinein beantworten. Einer wollte das Wort
Holle
, ein anderer
hol ich ihr Kind
gehört haben.
Dürr, der die ganze Zeit über still und unbewegt am Tisch gesessen hatte, stand nun auf, um das letzte und unwiderrufliche Zeichen für die Vollstreckung der Urteile zu geben.
Er fasste den Gerichtsstab an beiden Enden und hob ihn für alle sichtbar über den Kopf. Es war ein ebenso fesselnder wie auch endgültiger Moment, der die Aufmerksamkeit aller auf sich zog.
Kathi und ihre Freunde blickten gebannt auf den Hexenkommissar. Er war kein großer Mann, eher klein und schmal, aber in diesem Moment hatte er etwas Mächtiges und Unerbittliches an sich. Mit einer simplen Geste, dem Brechen eines Holzstabs, demonstrierte er den Willen des Gesetzes, Recht über die Verurteilten zu sprechen und sie ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Das Knacken des Holzes machte die acht Verurteilten binnen eines Herzschlags rechtlos. Es besiegelte ihren Tod.
Die Menge heulte auf, als sei eine Last von ihr gefallen. Zustimmende Rufe gellten über den Platz, gemischt mit schadenfroher Erwartung, was jetzt und gleich darauf auf dem Sanderanger, der Hinrichtungsstätte draußen vor den Toren der Stadt, geschehen würde.
Dazu befahl Dürr den Scharfrichter herbei, der sich bislang hinter dem Kanzleitor aufgehalten hatte. Der Jubel versiegte beim Anblick dieses grobschlächtigen Mannes, der Dürr um zwei Köpfe überragte. Er hatte die Ärmel seines schwarzen Hemdes hochgekrempelt, und muskulöse Arme traten hervor. Die brauchte er in diesen Tagen zweifellos, um die schweren Werkzeuge bei den vielen Verurteilten handhaben zu können.
Eine seltsame Stimmung aus Angst und Ehrfurcht überkam die Bürger. Ein jeder wusste, wenn sie diesem Handlanger des Todes einmal gegenübertraten, dann war ihr Leben verwirkt. Doch heute standen sie diesseits der Schranne und hatten nichts zu befürchten. So war der Scharfrichter ihr Gehilfe, nicht ihr Peiniger.
«Scharfrichter!», sprach Dürr für alle hörbar, «ich befehle dir bei dem Eid, den du geschworen hast, die Verurteilten zu bestrafen und gebunden zum Sanderanger zu bringen, wo sie vom Leben zum Tod befördert werden sollen.»
Der Scharfrichter nickte erwartungsgemäß und schritt zur Tat. Dürr hatte damit seinen Teil der Arbeit getan und zog sich mit seinem Schreiber in die Kanzlei
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