Die Kinderhexe
Menschen herbei, und die mussten rechtzeitig informiert werden. Und weil das bis heute nicht geschehen war, hatte die Alte vermutlich schlichtweg gelogen. Kathi würde also noch Zeit haben, um einen Zeugen zu finden, der für Babette sprach.
Mit diesem beruhigenden Gefühl ging Kathi in die Apotheke, die sie erstaunlicherweise leer vorfand. Nur des Apothekers Eheweib Henriette war zugegen und kümmerte sich um die Kunden. Kathi konnte von Glück sagen, dass der Apotheker nicht da war und ihr auf die Finger sah, denn an diesem Morgen wollte ihr rein gar nichts gelingen.
Zu allem Überfluss ließ sie auch noch die sündhaft teure venezianische Retorte zu Boden fallen. Apotheker Grein würde sie dafür windelweich schlagen, das wusste sie.
«Was hast du denn wieder angestellt?» Henriette war aus dem Verkaufsraum herbeigeeilt.
«Es tut mir leid», erwiderte Kathi, «sie ist mir aus den Fingern geglitten.»
«Du dummes Ding», zürnte Henriette. «Mein Mann wird dich dafür zur Rechenschaft ziehen.»
Kathi seufzte. Ja, das würde er tun. Wenn er sie wegen einer Salbe schon halb totschlug, was erwartete sie erst bei einer zerbrochenen Retorte? Sie wagte es sich gar nicht vorzustellen.
Zu ihrer Überraschung hörte sie auch Henriette seufzen.
«Was ist mit Euch?», fragte Kathi.
«Sosehr man sich in diesem Haus auch müht», antwortete die Apothekersgattin, «man erhält niemals den Dank, den man verdient hat. Eine zerbrochene Retorte ist zwar ärgerlich, aber ersetzbar.»
Das waren ganz neue Töne, die Kathi niemals aus dem Mund von Henriette erwartet hätte. «Ich fürchte, das sieht der Meister anders.»
«Ja», antwortete sie nachdenklich, «da magst du recht haben. Ich erkenne ihn nicht wieder. Aus dem liebevollen und fürsorglichen Mann, den ich einst geheiratet habe, ist ein verbitterter Tyrann geworden. Ich frage mich, was ich nur falsch gemacht habe.»
Sie kniete sich neben Kathi hin und las die vielen kleinen Scherben auf. «Sorge dich nicht, ich werde sagen, dass mir die Retorte aus der Hand geglitten ist.»
«Aber, das könnt Ihr nicht machen.» Kathi war verwundert. «Der Apotheker schlägt Euch dafür tot.»
Wortlos schauten sie sich in die Augen, bis Henriette den Moment beendete. «Mir wird schon etwas einfallen. Notfalls schiebe ich die Schuld auf dieses blöde Regal.» Sie blickte zur Seite, wo noch mehr teure Apothekerware auf einem alten und wurmstichigen Bretterregal darauf wartete, eines baldigen Tages mit Getöse zu Boden zu stürzen. Apotheker Grein wusste um die Gefahr, doch bislang hatte sein Geiz alle Vorsicht übertroffen.
«Am besten, ich fange gleich damit an», sagte Henriette und erhob sich.
«Was habt Ihr vor?»
Henriette legte die Hand ans Regal. «Erst letzte Woche war der Schreiner da und hat meinen Mann gewarnt. Wenn er nicht ein neues Regal einbauen ließe, werde ihm diese wurmstichige Konstruktion bald zusammenbrechen.» Sie lächelte hinterhältig. «Ich frage mich nun, wieso dieser
baldige
Tag nicht schon heute sein kann.»
Kathi ahnte in diesem bitteren Lächeln all den Schmerz und die Demütigungen, die Henriette in den Jahren ihrer Ehe mit Grein hatte aushalten müssen. Nun schien es, als ob sie den geeigneten Moment gefunden hatte, um es ihm heimzuzahlen.
Sie ergriff eine Latte, die das Regal stütze, und rüttelte daran. Die Mörser und Stößel, die Kolben und Retorten, die Töpfe und Flaschen zitterten. Noch ein wenig mehr, und die Katastrophe würde ihren Lauf nehmen. Dann knackte es, eine Strebe brach und mit lautem Getöse fiel die Regalwand in sich zusammen. Der Staub des Holzfraßes vermischte sich mit den Splittern, dem Alkohol und den kostbaren Kräutern zu einer übel anzusehenden und stinkenden Pampe, die sich über den zerbrochenen Geräten am Boden bildete.
«Ihr habt es tatsächlich getan.» Kathi war fassungslos. Nie im Leben hätte sie damit gerechnet.
«Das hätte ich schon viel früher tun sollen», sagte Henriette und wischte sich die Hände ab.
«Wie sagen wir es dem Apotheker? Er wird wissen, dass das Unglück zu der Zeit stattfand, als wir in der Apotheke waren.»
Henriette schüttelte zufrieden den Kopf. «Wie könnte er? Er war heute noch nicht hier. Ich sage ihm, das Unglück hat sich in der vergangenen Nacht zugetragen.»
Ja, das war eine gute Erklärung, dachte Kathi, und gleich darauf fragte sie sich, wieso Grein heute noch nicht in der Apotheke war. Er besaß den Schlüssel und sperrte morgens auf. Er hätte das Malheur
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