Die Kinderhexe
sofort bemerkt.
Henriette schien den Einwand erwartet zu haben. «Der Hexenkommissar Dürr hat in aller Früh nach ihm schicken lassen. Er ging auf direktem Weg zu ihm, ohne vorher in die Apotheke zu kommen.»
Kathi fuhr der Schreck in die Glieder. «Wieso … was will er denn von Eurem Mann?»
«Er soll eine neue Art der peinlichen Befragung überwachen. Sie machen irgendetwas mit Kalk.»
Eine neue Foltermethode, schoss es Kathi durch den Kopf. Das konnte nur mit Babette zusammenhängen. Sie musste umgehend ins Malefizhaus und sehen, was mit ihrer Amme geschah. Nur, wie kam sie da rein? Kindern und allen anderen war der Zutritt untersagt. Das Regal, fiel ihr ein. Sie würde die Wachen bitten, zu Meister Grein vorgelassen zu werden, um ihm von dem fürchterlichen Unglück zu berichten, das sich in der Apotheke zugetragen hatte. Ja, das war es. Dagegen konnte niemand etwas sagen.
Und wie brachte sie das nun Henriette bei? Sie musste schnellstens gehen, bevor es zu spät war. «Werte Herrin, ich glaube, es wäre gut, wenn wir dem Meister das Unglück berichten. Schließlich hat die Apotheke schon eine Stunde offen, und wir sollten den Schaden längst bemerkt haben.»
Henriette musste nicht lange nachdenken. «Du hast recht. Los, beeil dich.»
«Danke», antwortete Kathi und war schon halb zur Tür hinaus, als Henriette sie zurückrief.
«Halt, warte. Du weißt doch gar nicht, wo du ihn findest.»
Kathi stutzte. «Im Malefizhaus natürlich. Wo denn sonst?»
«Nein, da ist er nicht. Er ist draußen, vor den Toren der Stadt. Auf dem Sanderanger.»
Wieso das? Der Sanderanger war eine Hinrichtungsstätte, aber kein Ort, wo man folterte.
«Sie brauchen ein Erdloch für den Kalk», sagte Henriette.
Die Gedanken überschlugen sich. Erdloch? Kalk? Was sollte das bedeuten? Die einzige Verbindung, in der Erdlöcher und Kalk Sinn machten, war, wenn Kalk für Bauarbeiten gelöscht wurde. Der zuvor gebrannte Kalk wurde vorsichtig mit Wasser versetzt. Dabei bildeten sich giftige Dämpfe, und das Gemisch erhitzte sich stark. Außerdem war es ausgesprochen ätzend, sodass es sich durch Haut und Fleisch fraß. Wenn die Bauarbeiter nicht aufpassten, zogen sie sich schlimme Wunden und Vergiftungen zu. Das war ein Teufelsgebräu mit unkalkulierbaren Folgen.
Um Himmels willen, durchfuhr es Kathi. Sie werden doch nicht so grausam sein?
Sie stürzte zur Apotheke hinaus und rannte die Domstraße hinunter, weiter zur Mainbrücke und dann geradewegs auf das Sandertor zu.
Bitte, Herr
, betete sie,
lass sie nicht so wahnsinnig sein. Beschütze meine Babette.
Tränen rannen ihr über die Wangen.
Die Wachen am Sandertor ließen sie anstandslos passieren. Nicht, weil es sich nur um ein Mädchen handelte, sondern weil sie offenbar etwas in Augen und Nase bekommen hatten. Es handelte sich um eine seltsam weiße Wolke, die der Wind auf sie zutrieb. Die Wachen husteten und rieben sich das Gesicht. Ähnlich erging es den Kaufleuten, Handwerkern und Bettlern, die sich in der Nähe des Tors aufhielten.
Nicht weit vor dem Stadttor auf dem Sanderanger befand sich eine Gruppe Männer. Sie standen in einem der Stadt zugewandten, halbgeöffneten Kreis und stachen mit Stangen in ein Loch vor ihnen. Der Wind griff sich das weiße Pulver und trieb es von ihnen weg, genau auf die Stadt zu. Überwacht wurden sie von drei Reitern, die sich mit Tüchern an Mund und Nase vor den beißenden Dämpfen zu schützen suchten. Einer von ihnen mochte der Apotheker Grein sein, Kathi glaubte ihn an seiner Schürze zu erkennen, die er stets bei der Arbeit trug. An der Seite tummelten sich Kinder, einige starrten regungslos in das Loch, andere tanzten um die weiße Wolke herum.
Je näher Kathi den Männern kam, desto klarer erkannte sie, was sich dort abspielte.
Drei dicke Stämme waren zu einer Art Gerüst aufgerichtet, von dessen Spitze ein Seil hinabführte. Das eine Ende hielten zwei Männer in der Hand, am anderen befand sich ein leblos wirkender nackter Körper, ganz in Weiß getaucht. Ein ums andere Mal wurde er, an Händen und Füßen gebunden, ins Erdloch hinuntergelassen.
Kathi konnte auf den ersten Blick nicht erkennen, um wen es sich handelte, nur dass die Kreatur völlig abgemagert apathisch am Seil hing. Ihr Kopf war kurz geschoren. Als sie die verzweifelten Schreie ihrer geliebten Amme hörte, wurde ihre Befürchtung grausame Wirklichkeit. Babette stöhnte und jammerte vor Schmerz, den der ätzende Kalk auf ihrem Körper verursachte.
Entsetzt
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