Die Kinderhexe
Schlacht zu führen. Nachdenklich zwirbelte er seinen Bart und räusperte sich, bevor er antwortete.
«Das sind schwere Vorwürfe gegen ein Weib, das so viele Bürger zur Welt gebracht hat. Seid Ihr Eurer Sache wirklich sicher?»
Dürr blickte verwundert drein. «Zweifellos, sonst hätte ich es nicht gewagt, unseren gnädigen Fürsten damit zu belästigen.»
«Aber wir machen doch sonst nicht so viel Aufhebens um ein altes verderbtes Weib. Was macht sie so außergewöhnlich?»
Zur Verwunderung Dürrs kam nun Unverständnis.
«Ich weiß nicht, was Ihr damit meint? Diese Hexe ist erwiesenermaßen die Wurzel allen Übels. Wenn wir sie richten, schlagen wir der Schlange den Kopf ab. Sie ist des Teufels Stellvertreterin auf Erden.»
Genau das wollte Faltermayer hören. Er nickte zustimmend. «Gut gesprochen, werter Kollege. So sehe ich das auch. Dennoch: Was unternehmt Ihr, damit der böse Geist nicht auf ein anderes Weibsbild überspringt? Wir alle wissen um die berüchtigte Holle, der Ihr seit langem nachstellt. Ihr böser Geist ist nicht an einen menschlichen Körper gebunden, das wisst Ihr. Wie können wir also sichergehen, dass mit dem Tod der Amme auch dieser Geist in Flammen aufgeht?»
Dürr, sonst nicht um eine Antwort verlegen, wusste nicht zu antworten. Auch der Bischof war ratlos. «Habt Ihr eine Idee?», fragte er seinen obersten Hexenkommissar.
«Ich komme gerade aus Bamberg zurück», antwortete Faltermayer, «wo ich mich über die Fortgänge beim Auffinden und der Bestrafung von Hexen und Teufelsanbetern kundig gemacht habe. Der Weihbischof Förner hat sehr interessante neue Ansätze. Außerdem soll ich Euch, gnädiger Fürst, schöne Grüße Eures Neffen, Bischof Fuchs’ von Dornheim, ausrichten. Er sichert Euch bei der Verfolgung der Hexenbrut seine volle Unterstützung zu.»
«Habt Dank», erwiderte der Bischof beiläufig. Viel mehr war er an den neuen Methoden aus Bamberg interessiert. «So sprecht, werter Faltermayer, was können wir von unseren Freunden in Bamberg lernen?»
«Darauf komme ich gleich», erwiderte Faltermayer. «Gestattet mir zuvor noch, über die Reichweite dieses Falls zu sprechen.» Er wandte sich an Dürr. «Wenn es zutrifft, was mein geschätzter Kollege bei der Befragung dieses Hexenweibs herausgefunden hat, dann stehen wir vor einem weit größeren Problem, als nur eine einzige Hexe zu brennen. Wenn sie der Kopf der Schlange ist, dann ist doch die Frage berechtigt, wen sie alles an ihrer Brust genährt hat.»
«Ihr meint», sagte der Bischof und spann den Gedanken weiter, «dass jeder und jede, die jemals mit dem Weib in Berührung gekommen sind, von ihr infiziert wurden?»
Faltermayer nickte zustimmend und stellte die entscheidende Frage: «Wer könnte das alles sein?»
«Die Kinder natürlich», erwiderte Dürr, «die sie auf die Welt gebracht hat und die bei ihr in Aufzucht waren.»
«Wie das Ei, so das Küken. Wie das Küken, so der Vogel. Also legt er Eier», fügte Faltermayer hinzu.
«Nicht so schnell», warf der Bischof ein. «Wisst Ihr, was Ihr da sagt?»
Faltermayer nickte, Dürr schwieg. Er ahnte, worauf sein Kollege hinauswollte. Es war ein unvorstellbarer Gedanke, den er nicht wagte zu Ende zu denken, geschweige denn auszusprechen.
«Das würde bedeuten, dass viele hundert Kinder von der Seuche befallen sind.»
«Und die Kinder dieser Kinder auch», fuhr Faltermayer fort. «Schließlich hatte die Amme seit vielen Jahren freien Zugang zu den Müttern und zu den Neugeborenen.»
Das Gesicht des Bischofs verlor die Farbe. «Um alles in der Welt … Habt Ihr den Verstand verloren? Ihr würdet damit einen zweiten Herodes aus mir machen.» Er schüttelte den Kopf. «Das wird mir mein Volk niemals verzeihen. Der nächste Aufstand wäre damit beschlossene Sache.»
Dürr hatte gut daran getan, die Sache vor den Bischof zu bringen. Damit konnte niemand sagen, dass er alleine für die größte Hexenjagd, die es je in deutschen Landen geben würde, verantwortlich war.
Dennoch: Ganz wohl war ihm bei dem Gedanken nicht, fortan der Kinderhexenjäger von Würzburg genannt zu werden.
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9
Kathi hatte schlecht geschlafen. Die ganze Nacht hindurch waren ihr die Worte der Alten aus dem Malefizhaus durch den Kopf gegangen.
Morgen hat sie es hinter sich.
Aber das konnte doch nicht sein! Das Malefizgericht hatte bisher immer im Voraus bekannt gegeben, wann der nächste Brandtag stattfand. Schließlich strömten aus dem ganzen Umland die
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