Die Kinderhexe
als müsse sie sich gegen einen penetranten Juckreiz zur Wehr setzen. Dabei murmelte sie unverständliches Zeug.
«Hast du mich gehört?», fragte Dürr.
«Habt Nachsicht mit ihr», schaltete sich Vikar Ludwig ein. «Sie hat Fürchterliches erlebt.»
«Ja, ja», tat Dürr ab, «trotzdem wird sie wohl den Mund aufmachen können. Oder muss ich davon ausgehen, dass der Teufel sie bereits in Besitz genommen hat?»
Die Warnung war nicht zu unterschätzen. «Ich will ja berichten», sagte sie schnell, «aber so einfach ist es nicht. Ich habe Schlimmes gesehen …»
Und so begann Grit von der vergangenen Nacht zu erzählen, in der ihr der Geist der toten Hexe Babette erschienen war und sie aufgefordert hatte, ihr zum Schalksberg zu folgen.
Im Grunde tat sie nichts anderes, als Kathis Version zu wiederholen und sie somit zu bestätigen. Sie ging aber noch einen Schritt weiter und sprach von fremden Männern und Frauen, die es gar munter miteinander trieben. Auch Männer mit Männern und Weiber mit Weibern. Nicht einmal Kinder seien verschont worden. So viel Verderbtheit sei ihr bisher nicht untergekommen, selbst in der Zeit im Stachel nicht.
Am schlimmsten seien die Weiber gewesen, die auf Befehl des Leibhaftigen Kinder in große Töpfe warfen und sie kochten. Ein Freudengeschrei und Gejohle sei das jedes Mal gewesen, wenn ein unschuldiges Kinderleben ausgelöscht wurde. Am Ende sei in den Töpfen nichts anderes übrig geblieben als Kinderfett, das die Hexen für die Herstellung der Flugsalbe so dringend benötigten.
Grit hatte die Vorkommnisse in einer beeindruckenden Weise vorgebracht. Am Ende schluchzte und heulte sie herzerweichend. Dabei warf sie sich Ludwig in die Arme und bat inständig um Vergebung für ihr liederliches Leben.
«Seht Ihr», sagte er zu Dürr, «das Kind hat Fürchterliches erlebt.»
Er deutete das Flehen der Reumütigen als göttlichen Auftrag und sprach sie von ihren Sünden los.
Wie immer hatte er auch für diese Situation den passenden Bibelverweis zur Hand. «Sei erfüllt von der grenzenlosen göttlichen Liebe, wie sie schon unser Herr Jesus Christus der Maria Magdalena zuteil hat werden lassen. Gehe nun hin und führe ein gottgerechtes Leben. Deine Sünden seien dir vergeben.»
Dürr interessierte dieser Gnadenakt überhaupt nicht. Es war stattdessen seine Aufgabe herauszufinden, ob die Angaben des Mädchens stimmten und – viel wichtiger – ob sie mit dem Teufel verkehrt hatte. Eine körperliche Untersuchung durch die Hebamme konnte er sich sparen, jeder wusste um ihren Lebenswandel. Die Jungfräulichkeit hatte sie schon lange verloren.
Wenn es stimmte, was Kathi und Grit aussagten, dann mussten sie sich auf dem Schalksberg begegnet sein.
Er befahl Kathi ins Nebenzimmer, wo sie zuvor von der Hebamme untersucht worden war, um sie allein zu befragen.
«Wenn ihr beide letzte Nacht auf dem Schalksberg wart, dann kannst du mir doch sicherlich sagen, ob es zutrifft, was diese Grit uns berichtet hat?»
«Ja, Herr.»
«Nun denn: Stimmt es oder lügt sie?»
«Sie spricht die Wahrheit. Ich habe sie gesehen, und ich habe auch die Frauen gesehen, die die Kinder in die Töpfe warfen.»
«War jemand unter den Weibern, den du kennst?»
«Nein, Herr. Ich war zu weit entfernt.»
Dürr überlegte. Konnte das stimmen?
«Die Feuer bildeten sehr viel Rauch», fügte Kathi hinzu, als sie Dürrs Zweifel bemerkte. «Außerdem war es mitten in der Nacht, und ich war müde.»
Das konnte eine Erklärung sein. Dennoch, ganz überzeugt war er nicht. «Wann hast du Grit das letzte Mal gesehen?»
Kathi dachte nach. Gestern in der Kirche hatte sie niemand bemerkt. Selbst die Nonnen hatten sie nicht miteinander sprechen sehen. Sie waren ganz alleine gewesen. Von daher drohte also keine Gefahr.
«Damals, als wir beim Schultheißen waren», antwortete sie.
«Ich finde es heraus, wenn du mich belügst.»
«Bei meiner Seele. Ich spreche die Wahrheit.»
Dürr nahm es hin. Aber eine Sache war da noch. «Hat Grit mit dem Teufel Unzucht getrieben?»
«Nein, Herr, keinesfalls.»
«Wie kannst du so sicher sein? Es war Nacht, und der Rauch behinderte dich beim Sehen.»
«Das stimmt, aber wenn ich mich recht erinnere, hatte der Teufel andere Dinge zu tun.»
«Welche denn?»
Mit dieser Frage hatte sie nicht gerechnet. Sie hatte mit Grit auch nicht darüber gesprochen. Was sollte sie antworten?
«Er war umringt von anderen Frauen, glaube ich.»
«Hast du jemanden erkannt?»
«Nein, Herr. Ich hatte
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