Die Kinderhexe
möglich.»
«Kein Wunder, wenn wir der Seuche nicht Herr werden können. Der Teufel hat freien Zugang.»
Unvermittelt klopfte es an der Tür. Der Malefizschreiber legte seinen Federkiel beiseite und schaute nach.
«Zu Meister Dürr», drang eine aufgebrachte Männerstimme herein. «Schnell, es eilt.» Kathi wusste genau, auf wen dieser forsche Ton passte. Auf einen Mann, dem das Seelenheil der Kinder mindestens genauso wichtig war wie seine Anerkennung als vollwertiger Pfarrer.
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12
Der Schreiber meldete einen Vikar Ludwig und ein Kind in seiner Begleitung.
Während einer Befragung ließ sich Dürr nur ungern stören, aber Vikar Ludwig blieb nicht länger vor der Tür stehen. Mit Grit an der Hand stürzte er in die Stube.
«Meister Dürr», drängte er, «ich muss etwas zur Anzeige bringen.»
«Geduldet Euch», antwortete Dürr mürrisch, «ich will diese Befragung noch zu Ende bringen.»
«Die Sache duldet aber keinen Aufschub. Dieses Kind hier», er schob Grit nach vorne, «hat mir soeben gebeichtet, dass sie vergangene Nacht zum Schalksberg ausgefahren sei. Eine tote Hexe habe ihr dabei geholfen.»
Jetzt erst sah er Kathi. Für einen Moment war er irritiert, fragte sich, was eine seiner Schülerinnen hier verloren hatte, erst recht in einem derart ungebührlichen Aufzug. Aber das Seelenheil Grits war in diesem Augenblick dringlicher.
Dürrs Verstimmung war bei den Worten
Schalksberg
,
ausgefahren
und
tote Hexe
schnell verflogen. Sollte es tatsächlich noch ein weiteres Kind gegeben, das an demselben Vorfall beteiligt war?
Er schaute sich das Kind an Ludwigs Hand genauer an. Sie hatte den Kopf gesenkt, an den Seiten baumelten zwei schwarze Zöpfe. Ihr Nachthemd, die Beine, Arme und Hände waren derart verschmutzt, als hätte sie sich im Dreck gewälzt. Für ein Kind war sie außerdem auffällig groß und gut gebaut, soweit er das unter dem weiten Nachthemd erkennen konnte.
«Schau mich an», befahl er ihr.
Grit blickte auf, und Dürr staunte nicht schlecht, als er hinter all dem Schmutz das Schankmädchen aus dem Stachel und die Zeugin aus dem Rathaus erkannte.
«Ich kenne dich», sagte er. «Du bist doch das freche Ding …»
Doch das aufreizende Schankmädchen hatte wenig Ähnlichkeit mit diesem Kind hier. Die Dirne aus dem Gasthaus hatte das lange rote Haar offen getragen. Ihr Kleid war figurbetont gewesen, sodass Brüste und Hüften richtig zur Geltung gekommen waren. Dieses Kind aber hatte das schwarze Haar artig zu Zöpfen geflochten, und das einfach geschnittene Nachthemd ließ kaum vermuten, welch wohlgeformter Körper darunter steckte.
Sie hatte unübersehbar eine Wandlung vollzogen, und Dürr tat sich schwer damit.
«Ja, Herr», antwortete Grit überraschend schüchtern. «Wir haben uns kürzlich vor dem Schultheißen gesehen.» Sie mied den Augenkontakt und blickte wieder nach unten.
«Du scheinst mir gar arg verändert.»
Dürr war ein guter Beobachter. Wie kam es, dass aus der Dirne Grit ein eher bemitleidenswertes, schmutziges Mädchen mit langen Zöpfen geworden war, das nun eingeschüchtert und barfuß an der Seite eines Priesters stand?
Für diese Frage fühlte sich Vikar Ludwig zuständig.
«Gestern Abend, kurz vor Torschluss, kam sie zu mir in die Beichte», berichtete er. «Sie beklagte ihr schändliches Leben und bat, wieder in den Kreis der Gläubigen aufgenommen zu werden. Anfangs war ich mir nicht sicher, ob sie es ernst meinte, und fragte, woher der Sinneswandel denn komme. Dann erzählte sie von einem Druck, der auf ihr laste. Ein böses altes Hexenweib habe sie in ihrer Stube aufgesucht und ihr befohlen, sich für einen Ausritt zum Schalksberg bereitzuhalten. In der Nacht, wenn alle schliefen, würde sie sie abholen. Ich wollte ihr zuerst nicht glauben, da ich ja wusste, welch verdorbenes Leben sie führt, und schickte sie weg.
Heute Morgen kam sie erneut zu mir, so, wie Ihr sie jetzt seht, und weinte bitterlich. Das Hexenweib sei tatsächlich in der Nacht zurückgekehrt und habe ihr befohlen, sich zu ihr auf den Besen zu setzen. Dann seien sie in Windeseile hinauf zum Schalksberg gefahren, wo sie Ungeheuerliches erlebt habe …»
«Das reicht», unterbrach Dürr. «Lasst sie erzählen. Ich will es aus ihrem Mund hören.» Er wandte sich an Grit. «Nun sprich. Was ist letzte Nacht passiert?»
Einem Häufchen Elend gleich stand Grit in der Mitte des Raumes. Mit den Fingern der rechten Hand kratzte sie ein ums andere Mal an ihrem Unterarm,
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