Die Kinderhexe
verletzten Mädchen auf dem Arm um Einlass bat, hatte er sich zunächst gesträubt. Eine Frau beziehungsweise ein Mädchen hätten hinter Klostermauern eines Konvents nichts verloren. Doch Ludwig war ein schlauer Mann, der gerne aushalf, wenn Not am Mann war und diese Hilfe auch für sich einforderte, wenn er sie benötigte. Schließlich wollte er nicht sein ganzes Leben darauf warten, eine Pfarrgemeinde zugesprochen zu bekommen. Das nahm er nun selbst in die Hand. Und Grit würde ihm dabei helfen.
«Bruder Christophorus», sagte er, «du erinnerst dich doch noch an das vergangene Osterfest, als du das Hochamt im Weinkeller verschlafen hast und ich für dich …»
«Ja, ja, schon gut», antwortete Christophorus, der nicht wieder daran erinnert werden wollte. «Die Vergebung ist erste Christenpflicht.» Er zog ihn zur Tür herein. «Was ist mit dem Mädchen?»
«Es ist verletzt.»
Das war nicht gut. Ein verletztes Mädchen hinter Klostermauern, das konnte man auch missverstehen. «Was willst du mit ihm machen?»
«Es gesund pflegen, natürlich. Und du hilfst mir dabei.»
«Aber …»
«Nichts aber. Besorg sauberes Wasser und Tücher, damit wir die Wunden säubern können.»
«Ich hole Bruder Koloman. Er kennt sich mit Heilkräutern aus.»
«Untersteh dich. Das bleibt unter uns. Und nun geh mir aus dem Weg.»
Ein zweites Mal an diesem Tag musste Bruder Christophorus gegen die Regeln des Konvents verstoßen, als Kathi mit der Heilsalbe und einem stärkenden Trunk wünschte, zu Grit vorgelassen zu werden. Beim dritten Mal, als Kathi erneut auftauchte, um die Verbände zu wechseln, seufzte Christophorus nur noch und ließ sie kopfschüttelnd passieren. Nie wieder würde er sich dem Wein hingeben und sich dabei erwischen lassen.
Die Kammer lag verlassen neben dem Waschhaus. Viermaliges Klopfen öffnete die Tür.
«Sie schläft», sagte Ludwig leise und legte einen Finger auf die Lippen.
Kathi trat ein. «Hat sie ausreichend vom Sud getrunken?»
Ludwig nickte. «Du verstehst dich gut auf die Zubereitung von Arzneien.»
Das war das erste Lob, das sie je aus Ludwigs Mund gehört hatte. Sie lächelte, ließ es sich aber nicht anmerken.
Grit lag bäuchlings auf einem Brett, das hastig mit schmutziger Wäsche bezogen worden war. Ihr nackter Rücken war lediglich mit einem dünnen Tuch bedeckt. Die Wunden mussten atmen können. Kathi hob es an, und Grit erwachte.
«Wo bist du so lange gewesen?», stöhnte sie unter Schmerzen. «Ich dachte schon, du lässt mich mit dem Pfaffen alleine.»
Kathi legte ihr den Finger auf den Mund. «Still, und sprich nicht so wirres Zeug. Der Vikar hat dir das Leben gerettet.»
Sie lachte auf. «Wie denn das? War er vielleicht auch auf dem Schalksberg?»
«Schweig endlich», zischte Kathi sie an, während Vikar Ludwig sie von der Ecke aus beobachtete. Er wirkte besorgt, wenngleich auch ein wenig hoffnungsvoll, jetzt, da Kathi ihre Wunden versorgte. Bald würde er sie wieder für seine Zwecke einsetzen können.
«Nein, Vikar Ludwig war nicht auf dem Schalksberg», fuhr Kathi fort, «dafür aber ein Mädchen namens Anna, das Felicitas Dornbusch mit dem Teufel gesehen haben will.»
Grit schreckte auf. «Wer ist sie? Wir waren doch nicht …»
Kathi bedeutete ihr, nicht so laut zu sprechen. «Eben. Sie hat unsere Aussagen vor dem Hexenkommissar zugetragen bekommen und beschlossen, sich uns anzuschließen.»
«Das ist doch gut, oder?»
«Nein, ist es nicht. Sie kann mit einem dummen Wort alles zerstören. Wir müssen uns etwas überlegen.»
«Niemand wird ihr glauben.»
«Sei dir da mal nicht so sicher. Ich habe sie erlebt. Sie wirkt überzeugend.» Kathi berichtete von ihrem Besuch im Juliusspital und dem Gespräch mit den beiden Jungen aus dem Kinderhaus.
«Deshalb war sie mit Christian also in der Reuererkirche», antwortete Grit. «Sie wollen ein Kind annehmen, wenn sie selbst keines bekommen können.» Sie grinste gehässig. «Das können sie sich jetzt ohnehin aus dem Kopf schlagen. Felicitas ist eine Hexe.»
«Nein, ist sie nicht», widersprach Kathi leise. Sie beugte sich an ihr Ohr. «Felicitas Dornbusch ist noch immer nicht zur Befragung in die Kanzlei geladen worden, und solange das nicht geschehen ist, ist deine Beschuldigung haltlos.»
Grit fuhr vor Zorn auf, aber die Schmerzen zwangen sie auf ihr Lager zurück. «So haben wir nicht gewettet», warf sie Kathi vor.
«Ich sage für dich aus, du für mich», flüsterte Kathi. «Dabei bleibt es auch. Aber
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