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Die Kinderhexe

Die Kinderhexe

Titel: Die Kinderhexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Rausch
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sofort.»
    Sie warf sich eine Decke über und machte sich auf den Weg nach unten. Während sie vorsichtig die abgewetzten Stufen der schmalen Treppe nahm, fragte sie sich, wer in aller Herrgottsfrühe Einlass verlangte.
    Im Namen des Bischofs.
    Das konnte eigentlich nur jemand aus der bischöflichen Kanzlei sein. Ihr Herz schlug schneller. Was wäre, wenn Grit alles gestanden hatte? Sie mochte gar nicht daran denken. Zögerlich öffnete sie die Tür. Wie befürchtet war es einer von Dürrs Folterknechten.
    «Zieh dich an», befahl er ihr, «Meister Dürr wünscht dich zu sprechen.»
    Kathi wagte nicht, nach dem Grund zu fragen. Wenn Dürr seine Folterknechte losschickte, dann war klar, worum es ging.
    Sie ging in die Kammer zurück und begann sich anzukleiden. Worüber würde Dürr mit ihr sprechen wollen? Was würde sie entgegnen, wenn Grit sie für alles verantwortlich machte? Oder war alles nur ein Vorwand, und Dürr hatte ihre Lügen längst enttarnt und würde sie bis zur Urteilsverkündung in den Kerker werfen lassen? Ein Schauer rann ihr über den Rücken. Sollte sie es gar nicht erst so weit kommen lassen und fliehen? Selbst wenn sie an den Torwachen vorbeikäme, wohin sollte sie gehen?
    Es war aussichtslos. Jenseits der Stadttore war sie rechtlos. Der nächstbeste Bettler konnte sie ausrauben und ihr Schlimmeres antun, ohne Strafe fürchten zu müssen. Da war es besser, die zwei Dutzend Stockschläge zu ertragen, auch wenn sie danach niemand mehr anschauen wollte.
    So warf sie sich das weiße Tuch über den Kopf, genau so, wie es die Heilige Mutter Maria auf den Bildern trug. Vielleicht half es, wenn sie als reumütige Sünderin vor Dürr trat und um Milde bat.
    Den Weg hinüber zur Kanzlei brachten sie wortlos hinter sich. Statt Kathi vor sich herzutreiben, wie es normalerweise bei allen Verdächtigen geschah, ging dieser ungewaschene und grobschlächtige Kerl voraus. Sie folgte mit ihrem weißen Kopftuch. Sie mussten ein seltsames Bild für die Bürger abgeben. Alle schauten sie irgendwie eigentümlich an. Ein paar Frauen schlugen gar das Kreuzzeichen und senkten den Blick.
    Was war passiert?
    Die Frage wurde dringender, je näher sie der Kanzlei kamen. Wieder hatte sich eine Menschenmenge gebildet und belagerte das Tor. Doch dieses Mal protestierte niemand. Sie sahen aus, als ob ihnen der Schreck in die Glieder gefahren sei und sie fest im Griff hielt. Niemand sagte etwas. Bereitwillig bildeten sie eine Gasse, damit Kathi und der Folterknecht die Kanzlei betreten konnten.
    Anders als erwartet, empfingen sie in der Schreibstube nicht Dürr und der Malefizschreiber, sondern andere vertraute Gesichter. Menschen, mit denen sie hier nicht gerechnet hatte. Auf der Bank neben dem Ofen saßen in einer Reihe Ulrich und Benedikt, ihre beiden Mitschüler aus der Klasse von Vikar Ludwig, und ein Junge, den sie nur vom Sehen her kannte und der Andreß genannt wurde. Er war ihr bei den Hinrichtungen durch sein sorgloses Spielen aufgefallen, während die anderen im Schreck erstarrten. An ihrer Seite blickte das Mädchen Anna aus dem Juliusspital auf. Sie wirkte – anders als die Jungen – ruhig und gelassen. Und schließlich kauerte Grit in einer Ecke. Sie hatte sichtlich Mühe, sich aufrecht zu halten. Ihr Rücken musste noch schrecklich schmerzen. Ihre Blicke trafen sich für einen Moment, und wäre der Folterknecht nicht gewesen, wäre Kathi gleich mit der Frage herausgeplatzt, was sie hier alle suchten. So verhielt sie sich ruhig und wartete ab.
    «Hinsetzen», raunzte er sie an.
    Kathi setzte sich den anderen gegenüber auf einen Stuhl.
    Dann ging er in die Kammer nach nebenan. Als er die Tür öffnete, sah Kathi für einen Augenblick Dürr, wie er jemanden befragte, der vor ihm stand. An seiner Seite befanden sich Vikar Ludwig und der Malefizschreiber. Der Größe nach zu urteilen, handelte es sich um ein Kind, ein ziemlich verdrecktes und verlaustes Kind mit zerrissener Kleidung. Die Situation wirkte angespannt. Dürr schaute streng, und Ludwig blickte nicht weniger ernst drein.
    «Das Mädchen ist jetzt da», sagte der Folterknecht. Dann schloss er die Tür.
    Stille kehrte ein, einzig unterbrochen von gelegentlich aufkommenden Beschuldigungen und Drohungen, die vom Fenster her in die Stube schwappten. Draußen kämpften sie um einen guten Platz am Fenster.
    Kathi wagte nicht zu fragen, was hier vor sich ging. Außer Grit traute sie niemandem, und deren misstrauischer Blick auf die anderen bestätigte ihr,

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