Die Kinderhexe
leider hast du dir einen Gegner ausgesucht, der nicht so leicht zu bezwingen ist. Felicitas Dornbusch genießt großen Rückhalt im Volk, wie du heute am eigenen Leib erfahren hast.»
Die Schmach ließ die Wunden doppelt schmerzen.
«Ich frage mich», fuhr Kathi fort, «ob du dir nicht eine andere Gegnerin aussuchst. Sie ist einfach zu mächtig.»
«Niemals», herrschte Grit sie an, «selbst wenn ich sie in die Hölle begleiten muss. Felicitas Dornbusch wird brennen, und mit ihr all die, die mir das angetan haben.»
Woher kam nur dieser abgrundtiefe Hass, fragte sich Kathi. Nach all dem, was Grit von Christian und seiner Frau erzählt hatte, kannte sie Felicitas doch kaum.
Vielleicht war die Antwort woanders zu finden, zum Beispiel auf ihrem Rücken. Als sie die Wunden das erste Mal mit der Heilsalbe behandelte, waren ihr ältere Verletzungen aufgefallen. Die Form der Narben deutete auf eine Rute hin, die in der Mitte einen Zacken aufwies. Sie glichen einem dornigen Rosenstängel, der mehrfach in ihr Fleisch eingedrungen war. Noch seltsamer kam ihr aber eine sternförmige Verletzung in Höhe des linken Schulterblatts vor. Sie musste sehr alt sein, da sie von den Stellen daneben inzwischen kaum noch zu unterscheiden war. Nur einmal hatte Kathi eine Waffe gesehen, die ein ähnliches Muster hinterließ. Ihr Vater Heinrich hatte einen Dolch besessen, bei dem zwei Klingen, Blatt auf Schneide, ineinander geschmiedet waren. Damit könnte er sogar ein Wildschwein aufspießen, hatte er gesagt, sollte er bei seinen Kurierreisen überfallen werden.
«Du musst jetzt gehen», sagte Vikar Ludwig, der sich in der Ecke aufgehalten hatte. «Die Pforte wird gleich geschlossen.»
Kathi stand auf. «Es könnte sein, dass Meister Dürr uns morgen noch mal vorlädt.»
«Wieso sollte er das tun?», fragte Grit.
«Weil die Beschuldigten bestimmt leugnen werden. Er wird uns noch mal ins Gewissen reden, bevor er die Folter anwendet.»
«Dann kann ich ihm gleich meinen Rücken zeigen. Er soll die Bastarde festnehmen, die mir das angetan haben.»
Insgeheim hoffte Kathi, dass es dazu nicht kommen möge. Sonst würde er die sternförmige Wunde sehen und womöglich noch auf dumme Gedanken kommen.
[zur Inhaltsübersicht]
18
Die Dunkelheit war über die Bischofsstadt hereingebrochen, und der Ruf des Nachtwächters hallte durch die menschenleeren Gassen. Die Ereignisse, die mit den Aussagen von Kathi und Grit in den frühen Morgenstunden ihren Anfang genommen hatten, waren den Würzburgern aufs Gemüt geschlagen. Obwohl die Bedrohung durch die Hexen und Unholde schon seit Jahren existierte, hatte mit der Entführung der drei Kinder auf den Schalksberg alles eine neue Wendung erhalten.
Ungewöhnlich früh waren die Bürger zu Bett gegangen – die einen, weil sie die hereinbrechende Nacht nun noch mehr fürchteten als zuvor; die anderen, weil sie ihre Kinder nicht eine Minute aus den Augen lassen wollten. Wenn es stimmte, was die Mädchen sagten, dann ließ sich der Geist der Hexe Babette nicht durch die üblichen Vorsichtsmaßnahmen aufhalten. Er überwand geschlossene Fenster genauso, wie er die Schutzkraft des Kruzifixes und des Weihwassers bezwingen konnte. Was lag daher näher, als auf die altbewährten Bräuche der Ahnen zurückzugreifen. Trotz größter Anstrengungen der Kirche, die heidnischen Rituale aus den Familien zu verbannen, waren viele noch vorhanden und wurden eingesetzt, wann immer man sich besonders bedroht sah. Einträchtig neben den christlichen Insignien behüteten somit Salzkreise, Runen, Schutzamulette und Bannsprüche Haus, Familie und Vieh.
Viele Eltern schliefen bei ihren Kindern, wenn sie es wegen der engen Häuser nicht ohnehin schon taten, um sie vor dem Zugriff der Hexen zu schützen. Keine Hexe würde nachts mehr ein Kind entführen, ohne dass es die Alten mitbekamen, so viel war sicher.
Aus der Tiefe der Nacht erklangen die Flügelschläge Kolks. Er ließ sich auf einem First von Neumünster nieder und rollte die Augen nach allen Seiten, um etwaige Gefahrenherde auszumachen. Als er glaubte, hier oben ganz alleine zu sein, war er beruhigt, plusterte sich auf und stocherte mit dem Schnabel in seinem Gefieder nach ungebetenen Gästen. Danach würde er sich entspannt der Nachtruhe hingeben.
Das Rascheln von kleinen Füßen ließ ihn aufmerken. Es kam von einem Stück Blech nicht weit unter ihm. Das Geräusch war so typisch für eine bestimmte Art von Beute, dass er kaum widerstehen mochte, auch wenn
Weitere Kostenlose Bücher