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Die Kinderhexe

Die Kinderhexe

Titel: Die Kinderhexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Rausch
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Wie konnte es sein, dass jemand vom Schalksberg zurückkehrte, ohne von der Hexenseuche infiziert worden zu sein? Das widersprach allen Erfahrungen. Andere hielten mit dem besonderen Schutz dagegen, den Jesus Christus den Kindern zugesprochen hatte.
Ihnen gehört das Himmelreich.
Er liebte und segnete sie.
    Wo immer Kathi und Ursula mit ihren weißen Kopftüchern auftauchten, verstummten die Gespräche. Niemand wagte sie anzusprechen oder zu belästigen.
    Unten am Main, an der Anlegestelle für die Fischerboote, machten sie halt. Sie genossen die Zeit zwischen den Gebeten und dem Unterricht, unterhielten sich und lachten wie schon lange nicht mehr. Da trug der Wind ihnen ein Flugblatt vor die Füße.
    «Angeli minori», las Kathi vor, «die kleinen Engel von Würzburg.»
    Darunter eine Zeichnung vom Schalksberg und dem Hexensabbat, wie ihn sich der Künstler vorstellte. Der Teufel saß auf einem Thron und ließ sich Kinder und Frauen zuführen. Wer sich ihm nicht beugte, wurde gefressen oder im Kessel gekocht. Um die Feuer tanzten nackte Erwachsene. Von Würzburg herauf kam ein altes Weib auf einem Ziegenbock geritten. Ihre Beute waren unschuldige Kinder, die nach ihren Eltern riefen. Über alles jedoch ergoss sich das göttliche Licht, auf dessen Strahlen Kinder in Engelsgestalt herabfuhren, die dem schändlichen Treiben ein Ende bereiteten.
    «Sollen wir das sein?», fragte Ursula und deutete auf die kindlichen Engel.
    «Gar nicht mal so schlecht getroffen», antwortete Kathi lachend. «Der da im Waffenrock, mit dem kleinen Speer, bist sicherlich du.»
    «Nie im Leben habe ich einen Spieß in der Hand gehabt.»
    «Die Leute sehen uns aber so.»
    Ursula seufzte. «Macht dir das nicht Angst?»
    «Wenn wir zusammenhalten, kann uns nichts passieren», antwortete Kathi.
    «Aber wenn es mal nicht mehr so sein wird, was dann?»
    Kathi ließ die Frage unbeantwortet. Ein paar Kähne weiter spielten Kinder das alte Verhörspiel, in dem es um Anklage, Leugnen, Folter und Geständnis ging. Bis heute waren die Kinder in die Rollen der Erwachsenen geschlüpft – in die des Anklägers, Opfers und Folterknechts. Jetzt aber hatte sich ihr Verhalten verändert. Die Person des Anklägers war nicht mehr länger ein Erwachsener, sondern ein Kind.
    Kinder spielten sich selbst. Sie hatten die Macht über Leben und Tod an sich gerissen.
    «In der Bibel steht, dass Jesus Christus uns gesegnet hat.
Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, bleibt euch das Himmelreich verschlossen.
Wir sind demnach mehr wert als die Erwachsenen.»
    «Wieso verprügeln sie uns dann?»
    «Weil sie dumm und neidisch sind.»
    «Aber deine Mutter liebt dich doch.»
    «Nur, wenn ich tue, was sie von mir verlangt.»
    Ein paar Meter weiter kam eine Frau ans Wasser. Sie trug eine große Schlachtschüssel in ihren blutigen Händen, setzte sie am Ufer ab und wusch sich die Hände im Fluss. Von ihr unbemerkt, näherte sich ein Rabe von hinten. Er beobachtete sie genau, dachte Kathi, denn der Rabe wagte sich nur vor, wenn die Frau ihn nicht beachtete. Kaum hatte sie sich hingekniet und die Arme ins Wasser getaucht, sprang er auf die Schüssel und pickte sich ein Stück heraus. Mit der Beute im Schnabel erhob er sich in die Luft. Doch der Batzen entglitt ihm und fiel zwischen zwei Boote. Der Spalt war für ihn nicht zu überwinden, weil die Boote im Wasser schaukelten und er von ihnen zerquetscht würde, sobald er sich zwischen sie begab. Zudem lag das Stück Fleisch im kniehohen Wasser.
    «Karl, mein Ziehvater, soll morgen aus dem Kitzinger Kerker nach Würzburg geholt werden», sagte Ursula. «Wenn er freikommt, wird er mich töten.»
    «Keine Sorge», beruhigte Kathi sie, «Karl ist die längste Zeit dein Albtraum gewesen. Ich habe noch nie von einem Musikanten gehört, der ein Verhör überlebt hat.»
    «Was macht dich so sicher?»
    «Es braucht Musik, um tanzen zu können. Und beim Hexensabbat wird viel getanzt.»
    In den letzten Wochen hatte sie davon gehört, dass Spielleute in panischer Flucht Stadt und Land verließen. Ihre Fähigkeit, für Freude zu sorgen, hatte sich in einen tödlichen Fluch verwandelt. Kein Wunder, denn sie tauchten auf vielen Flugblättern auf, wie sie mit Fidel und Flöte den Hexentanz begleiteten. Seither war es in der Stadt viel ruhiger geworden. Selbst auf Hochzeiten – so sie in diesen Zeiten überhaupt noch gefeiert wurden – sah man sich vergeblich nach ihnen um.
    Kathi blickte zu den Booten hinüber. Hatte der Rabe sein

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