Die Kinderhexe
Beschuldigten fehlte jetzt nur noch Felicitas Dornbusch. Barbara nahm Kathis Frage vorweg.
«Die Dornbusch ist bis jetzt noch nicht verhört worden. Sie sitzt im Loch vom Grünenbaum und soll bis morgen Gelegenheit erhalten, über die Anschuldigung nachzudenken. In der Zwischenzeit ist ihr Mann Christian zur Burg gezogen, um den Bischof persönlich von der Unschuld seiner Frau zu überzeugen.»
«Wurde er vorgelassen?»
Otto und Barbara zuckten mit den Schultern. Doch Volkhardt wusste mehr. «Ich hörte, Faltermayer setzt alles daran, dass der Bischof ihn nicht empfängt.»
Das konnte sich Kathi nicht erklären. «Was hat Faltermayer damit zu tun?»
Volkhardt antwortete geheimnisvoll: «Mehr, als du denkst.»
[zur Inhaltsübersicht]
21
Kolk wich Kathi nicht mehr von der Seite. Es schien, als hätte er eine neue Komplizin gefunden, mit der er seine Beutezüge zukünftig durchführen wollte. Denn alleine hätte er den Batzen Fleisch niemals in so bequeme Stücke zerlegen können.
Nun saß er oben auf einem First von Neumünster und wartete, bis Kathi vom Unterricht mit Pfarrer Ludwig zurückkehrte. Es dauerte lange, für ihn eine halbe Ewigkeit. Er war hungrig. Unten im Innenhof tat sich nicht viel. Menschen mit kreisrunden Ausschnitten im Haar liefen über den Hof, einmal in Eile, das andere Mal ruhig und bedächtig. Da war auf der breiten Straße jenseits des Gebäudes schon mehr los. Kolk erhob sich in die Luft.
Nachdem sich die Nachricht vom Geständnis der drei Beschuldigten in der Stadt herumgesprochen hatte, war etwas Seltsames geschehen. Die Erwachsenen reagierten bestürzt, da sich der besorgniserregende Vorwurf bestätigt hatte. Auf die Bestürzung folgte Ratlosigkeit und später dann Zorn auf die einst so geschätzten und unverdächtigen Mitbürger.
Die Kinder kannten diese Sorge nicht. Sie hatten die Nachricht von den Geständnissen mit Neugier aufgenommen. Ab jetzt war bewiesen, dass die Allmacht von Erwachsenen gebrochen werden konnte. Sie waren damit nicht länger nur das Ziel teuflischer Verführung, sie waren jetzt der Fingerzeig Gottes –
da alles Gute stets herrlich war und diese Herrlichkeit allein von Gott kam
. So hatten sie es im Unterricht gelernt, so war es ihnen vor dem Zubettgehen mit dem Rohrstock eingebläut worden.
Denn welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.
In der Domstraße, keine fünfzig Schritte vom Portal des Kiliansdoms entfernt, lag ein Junge auf dem Boden. Es schüttelte ihn, als sei eine dämonische Krankheit in ihn gefahren. Bürger und Geschäftsleute liefen zusammen.
«Ist das nicht der Bub vom Weininger, dem Radmacher?», fragte einer.
«Was ist los mit ihm?»
«Der Teufel hat Besitz von ihm genommen.»
Die Bürger traten einen Schritt zurück.
«So ein Unsinn», regte sich ein altes Weib auf, «das Kind ist krank. Das ist das St.-Johannes-Übel.»
Die Alte kniete sich zu ihm hin und legte seinen Kopf in ihren Schoß. Da öffnete er die Augen.
«Da ist sie hineingegangen», sagte er und zeigte auf das Portal des Doms.
«Wer ist da hineingegangen?», fragte die Alte.
«Die Muhme …»
«Sollst du hier auf sie warten?»
«Nein, sie hat mich verhext, damit ich ihr nicht folgen kann.»
Die Alte rätselte. «Warum sollte sie das wollen?»
«Ich habe sie in der Nacht auf dem Schalksberg gesehen. Sie soll für den Teufel die Hostie aus der Monstranz stehlen.»
Die Umstehenden erschraken.
«So haltet sie doch auf», flehte der Junge inständig, «bevor sie das Fleisch unseres Herrn und Erlösers entweiht.»
Auf der anderen Seite der Stadt, in Stift Haug, verwandelten gleich vier Schüler den Unterricht in ein Tribunal gegen den Vikar Franziskus. Sie schnitten furchterregende Grimassen, tanzten wie von allen guten Geistern verlassen auf den Tischen, rülpsten, furzten und geiferten, wie sie es von Vikar Franziskus beim Drudentanz auf dem Schalksberg gelernt haben wollten. In Panik rannten die Mitschüler auf die Straße und riefen um Hilfe.
Ein paar Straßen weiter kamen Lene und Lotti aus der Apotheke ihres Vaters gestürzt, die weißen Schürzen voller Blut und die Gesichter totenbleich, als hätten sie dem Tod ins Auge geblickt. Meister Grein sei außer Rand und Band, greife lüstern nach ihnen und berühre sie dort, wo es selbst dem eigenen Vater nicht gebühre, ein unschuldiges Kind zu berühren. Seitdem er in den Morgenstunden von einem nächtlichen Ausflug zurückgekommen sei, sei er nicht mehr derselbe. Etwas Fürchterliches
Weitere Kostenlose Bücher