Die Kinderhexe
gesagt?»
Von der anderen Seite der Kammer kam Grit ihr zu Hilfe. «Es war Nacht und daher nur schwer zu erkennen. Erst wenn sie einem nahe kam, konnte man sehen, dass da ein neues Auge war.»
Faltermayer beugte sich zu ihr hinunter. «Bist du nicht dieses Mädchen, das Felicitas Dornbusch mit dem Teufel hat buhlen sehen?»
«Ja, Herr.»
Anna merkte auf. Das war also ihre geheime Komplizin, auf deren Aussage hin sie zur zweiten Anklägerin geworden war. Auch wenn es ihr wenig behagte, diesem frechen Ding zur Seite zu stehen, in diesem Fall war es geboten.
«Babette ist eine Gestaltswandlerin», sagte sie unvermittelt. «Sie vermag es, in einem Moment wie ein altes, fürchterliches Weib auszusehen und im anderen wie eine hübsche Jungfrau. Das ist ihr Zauber, das ist des Teufels Magie.»
Dieser Vergleich kam dem Vikar gelegen. Er erinnerte sich einer entsprechenden Stelle in der Heiligen Schrift. «Denn der Satan selbst nimmt die Gestalt eines Engels des Lichtes an; es ist daher nichts Großes, wenn auch seine Diener die Gestalt von Dienern … oder anderen Wesen annehmen. Das wissen wir aus Epistula ad Corinthios II .»
Die beiden Hexenkommissare waren des Lateinischen mächtig; den Worten der Heiligen Schrift war nichts entgegenzusetzen.
Guter Rat war also teuer. Wie konnten sie der Wahrheit auf die Spur kommen?
Dürr, der erfahrene Hexenjäger, hatte eine passende Antwort parat. Er wies den Folterknecht an, ein paar seiner Werkzeuge zu holen. Wenn die Erwachsenen beim Anblick der Gerätschaften bereitwillig Auskunft gaben, sollte es ihm bei den Kindern wohl auch gelingen.
Es sollte nicht lange dauern, bis Zange, Daumenschraube und Peitsche auf dem Tisch lagen. An der Peitsche klebte noch Blut. Die Kinder wussten, welche Wunden diese Werkzeuge in ihre Körper reißen würden.
Jedem, außer dem schwachsinnigen Andreß, verschlug es den Atem. Er war seltsam erregt, als würde gleich sein Lieblingsspiel beginnen. Ulrich und Benedikt überkam ein Zittern, Anna und Grit hielten dem Anblick nicht stand und schauten zu Boden, so wie Kathi es ebenfalls tat. Allerdings war sie auf die Drohung vorbereitet, Apotheker Grein hatte davon berichtet. Ab und an hatte er auf Anweisung der Hexenkommissare an den Verhören teilgenommen, wenn sich die Beschuldigten auf die heilende Anwendung bestimmter Kräuter beriefen und er testieren musste, ob sie sich auch zur Herstellung giftiger Tränke eigneten.
Kathi wusste, dass dieser Moment kommen würde. Sie hatte sich geschworen, standhaft zu bleiben, denn zunächst handelte es sich nur um eine Drohung. Ihr Leben und ihre Gesundheit lagen den Hexenkommissaren mehr am Herzen als der Wunsch, sie qualvoll sterben zu sehen. Je länger sie lebte, desto mehr konnte sie preisgeben.
Unerwartet erhielten die Kinder Unterstützung von Vikar Ludwig. Er stellte sich mutig zwischen sie und die Hexenjäger. «Haltet ein», sagte er beschwichtigend, «es sind Kinder.»
Doch dafür war es jetzt zu spät. Dürr begann mit Kathi und zeigte auf die Folterinstrumente.
«Die, die du im Bunde mit dem Teufel auf dem Schalksberg gesehen haben willst, haben auf die Heilige Schrift geschworen, dass du die Unwahrheit sprichst. Ich frage dich daher noch einmal: Hast du Hortensia Paulus, Cornelius Grimm und den Stadtrat Joachim Bauth auf dem Schalksberg gesehen? Ja oder nein? Bedenke gut, was du antwortest. Eine Lüge könnte auch dein Leben kosten.»
Um die Drohung zu untermauern, wies er Vikar Ludwig an, näher zu treten. Kathi sollte die Hand auf den Rosenkranz legen.
«Nun sprich: Ja oder nein?»
Mit der Hand auf dem Kreuz fiel es Kathi unerwartet schwer, die richtige Antwort zu geben. Sie wusste zwar, dass sie sich mit ihrer Lüge schwer versündigte, aber das war nichts im Vergleich zum Tod ihrer Amme.
«Zögere nicht länger, mein Kind», ermunterte sie Ludwig. «Der Herr ist mit den Wahrhaftigen.»
Der Herr ist mit den Lügnern und Mördern, ging es ihr durch den Kopf. Sie durften in seinem Namen ungestraft falsches Zeugnis ablegen, foltern und brennen. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Das war es, was sie ihr beigebracht hatten – mit Worten, Schlägen und Hunger. Nun sollten sie das Wort des Herrn am eigenen Leib erfahren. Sie wusch ihre Hände in Unschuld.
«Ja», antwortete Kathi mit fester Stimme. «Ich habe die drei am Schalksberg gesehen.»
«So sei es», antwortete Dürr.
Dann wandte er sich Grit zu. Bisher hatte er Felicitas Dornbusch verschont. Ihr Einfluss und ihr Leumund waren
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