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Die Kinderhexe

Die Kinderhexe

Titel: Die Kinderhexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Rausch
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zu groß, als dass er Unruhe ins Volk hineintragen wollte. Der Bischof hatte es gutgeheißen. Nun aber hatte sich die Situation verändert. Es gab eine zweite Anklägerin, die nicht länger schweigen wollte.
    «Auch dir stelle ich die Frage: Willst du Felicitas Dornbusch im Bunde mit dem Teufel gesehen haben?»
    Grit legte die Hand aufs Kreuz. Sie hatte keinerlei Skrupel mit einem geweihten Kreuz. Ohne nachzudenken, antwortete sie mit Ja.
    Als Dritte musste Anna ihre Anschuldigung bekräftigen.
    «Felicitas Dornbusch ist die Buhlin des Teufels. Ich schwöre es bei meinem Seelenheil.»
    Damit war der dünne Faden, an dem Felicitas’ Schicksal gehangen hatte, gerissen.
    Faltermayer ließ es sich nicht nehmen, dem Folterknecht Anweisung zu geben, die Beschuldigte festzunehmen. Es überkam ihn dabei ein erhebendes Gefühl. Nun endlich hatte er das Mittel in der Hand, um diesen aufsässigen Christian Dornbusch zu disziplinieren. Ab jetzt war dieser nicht länger Stadtrat und Rechtsgelehrter, sondern nur noch der gehörnte Ehemann einer Buhlin des Teufels.

[zur Inhaltsübersicht]
    20
    Nach reiflicher Überlegung und Rücksprache mit dem Bischof sollten die Kinder für die Dauer der Prozesse von allen schädlichen Einflüssen ferngehalten werden. Sie wurden kurzerhand aus ihren Familien nach Neumünster verlegt, wo sie unter die Obhut von Ludwig gestellt wurden. Das war eine überraschende Wertschätzung des Vikars, auf die manch anderer Kanoniker neidisch blickte. Für Ludwig hingegen wurde der Traum, als vollwertiger Pfarrer einer Gemeinde vorstehen zu dürfen, endlich wahr – selbst wenn es sich nur um Kinder handelte.
    Mit der Beförderung Ludwigs ging auch eine Veränderung seiner Lehrmethoden einher. Der Druck, einen Platz in der Gemeinde zu finden, war von ihm genommen worden. Jetzt war es Zeit, alles besser zu machen als seine Vorgänger. Bibeltexte mussten zwar immer noch rezitiert, Inhalte von Predigten wiedergegeben und Gebete auswendig gelernt werden, doch die Mittel und Wege sollten fortan nur noch selten über die Rute gehen. Nur die wirklich Unbelehrbaren und Faulen würden noch Ludwigs starke Hand zu spüren bekommen. Die meisten Schüler lernten einen neuen Lehrer kennen, der ihnen aufmerksam und fürsorglich gegenübertrat und ein Ohr für ihre Nöte hatte.
    Das sprach sich in Kinderkreisen schnell herum, sodass viele nur noch vom Kinderpfarrer sprachen. Nicht wenige drängten ihre Eltern, in die Schule von Neumünster wechseln zu dürfen, für die meisten erfüllte sich dieser Wunsch allerdings nicht.
    Seitdem der Bischof die Vermögen der Beschuldigten einzog, um die Finanzierung der Prozesse zu gewährleisten, war auch ein Teil für Kost und Logis der Kinder an Neumünster gefallen. Der Abt war erleichtert. Dringend notwendige Reparaturen an den Klostergebäuden konnten durchgeführt werden, und auf dem Speiseplan fanden sich lang vermisste Gerichte.
     
    Kathi und Ursula hatten so gut gegessen wie seit langem nicht mehr. Sie fühlten sich rundum wohl. Sie schliefen in sauberen Betten, und ihre Kleidung wurde in der Waschküche des Klosters für sie gereinigt. Außerdem war die Zucht ausgesetzt, solange sie unter dem Schutz von Ludwig standen. Was konnte man sich Schöneres vorstellen?
    Bis zur nächsten Unterrichtsstunde und dem gemeinsamen Gebet war noch Zeit. Sie beschlossen, einen Spaziergang hinunter zum Main zu machen, wo sie sich immer getroffen hatten. Über einen Seiteneingang verließen sie das Klostergelände. Das Hauptportal mieden sie. In den letzten Tagen trieben sich dort immer mehr Kinder herum, die einen Blick auf die «Entführten», wie sie nun genannt wurden, werfen wollten. Manch einer erhoffte sich auch ein Almosen.
    Daher hatte sich Ursula entschlossen, wie Kathi ein weißes Kopftuch zu tragen, um nicht sofort auf der Straße erkannt zu werden. Nun waren weiße Kopftücher in den grauen und verdreckten Straßen Würzburgs nicht gerade häufig zu sehen. Sie zogen eher die Blicke auf sich, als dass sie sie abhielten. Doch schon bald gefiel den beiden die unerwartete Aufmerksamkeit.
    Sie wählten den kürzesten Weg über den Marktplatz. An diesem Morgen war Markt. Er war lange nicht so gut besucht wie in den guten Zeiten. Es roch nach Kuhdung, und Marktweiber wetteiferten um die Aufmerksamkeit der Bürger. Aber es wurden auch Nachrichten getauscht. Was gab es Neues, was trug sich in anderen Städten zu?
    Die jüngsten Ereignisse beherrschten die lebhaft geführten Diskussionen.

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