Die Kinderhexe
blies. Er sollte die Kinder mit seinem Spiel anlocken.»
Spielmann? Flöte? Kathi ahnte, wen sie damit meinte – ihren Ziehvater Karl Rußwurm. Der Nichtsnutz war für sein Flötenspiel bekannt. Wann immer sich die Gelegenheit bot, holte er sie hervor und spielte zum Tanze auf. Betrunken wie er dann war, hatte Ursula nichts zu lachen. Saß er zurzeit aber nicht wegen Diebstahls im Kitzinger Kerker ein? Andererseits, irgendwann würde er auch wieder freikommen, vielleicht schon bald.
«Hast du den Spielmann erkannt? Kennst du seinen Namen?», fragte Dürr.
Ursula nickte. «Ja, Herr, es ist mein Ziehvater. Meine richtigen Eltern sind schon lange tot.»
«Wie heißt er?»
«Karl Rußwurm.»
Der Malefizschreiber notierte den Namen, so wie er alle anderen auch in das Protokoll übernommen hatte. Anhand der Liste würden die Knechte später losgeschickt, um die Beschuldigten herbeizuschaffen.
Das Verhör verlief überraschend ergiebig. So zumindest deutete Kathi Dürrs kurzes, zufriedenes Lächeln. Er drehte sich zu Faltermayer um, der ihm mit einem Nicken sein Wohlwollen bekundete.
«Eine Sache ist mir allerdings noch unklar», fuhr Dürr fort. «Woher wisst ihr denn, dass es sich bei der Hexe um Babette handelte und nicht um ein anderes Weibsbild?»
Für Kathi, Ursula, Grit, Ulrich und Benedikt war die Frage leicht zu beantworten. Sie alle hatten sie kennengelernt, nur Anna und Andreß nicht, zumindest hatte Kathi sie noch nie in ihrer Begleitung gesehen.
Anna setzte zur Antwort an, aber Andreß kam ihr zuvor. «Sie ist ein altes, schrulliges Hexenweib mit einer langen, krummen Nase», sagte er ebenso aufgeblasen wie Anna zuvor. Doch die wollte sich nicht so schnell den Schneid abkaufen lassen und riss das Wort an sich. «Ihr ausgemergelter Körper ist übersät mit Warzen und Beulen, aus denen der Schwarze Tod trieft. Ihre Augen funkeln wie Feuer …»
Dürr hatte derlei Beschreibungen schon unzählige Male gehört, sie interessierten ihn kaum noch. Aber in diesem Fall merkte er auf. Eigentlich hatte er die Frage aus reiner Gewohnheit gestellt, so wie er viele Hexenbefragungen anhand einer vorgeschriebenen Liste durchführte. Nur selten verfing sich ein Fisch in diesem Netz.
«Ihre Augen funkeln wie Feuer?», unterbrach er sie.
Anna, leicht irritiert, bestätigte es. «Ja, Herr. In ihren Augen sind die Flammen zu Hause.»
Dürr stellte Andreß die gleiche Frage. Der bestätigte es nach kurzem Zögern. «Flammen in den Augen.»
Aus dem Hintergrund trat Faltermayer hervor. Das war der Fehler, auf den er gewartet hatte. Er hatte Babette bei der Folter in der Kalkgrube zwar nur kurz gesehen, aber ihr fehlendes Auge war ihm genauso wie Dürr nicht verborgen geblieben.
«Wie könnt ihr so sicher sein?», fragte er.
Nun war etwas mehr Einfallsreichtum gefragt. Kathi lehnte sich vor, um zu sehen, wie sich Anna und Andreß aus der Schlinge zogen.
«Weil … sie mir direkt ins Gesicht geschaut hat», erwiderte Anna unsicher.
«Und da hast du Flammen erkannt?»
«Ja.»
Faltermayer richtete die Frage an Andreß. «Kam die Hexe auch dir so nahe?»
Der antwortete schneller als Anna, ebenfalls falsch.
«Ja.»
Die Brisanz der Frage war auch Vikar Ludwig nicht entgangen. Schließlich hatte er in Anna die einzige Bestätigung für Grits Vorwurf, Felicitas Dornbusch auf dem Schalksberg gesehen zu haben. Fiel Anna, brach auch Grits Aussage in sich zusammen. Er trat vor.
«Stimmt etwas nicht?»
Dürr war nicht geneigt, die Frage zu beantworten. Jetzt ging es um alles. Wenn Anna bei ihrer Aussage blieb, stellte sie Grit bloß, und die würde früher oder später auch zugeben, dass sie gelogen hatte. Damit stand Kathi allein. Das Schicksal jedes Einzelnen war mit dem der anderen verknüpft. Fiel einer, fielen alle. Kathi musste eingreifen.
«Verzeiht, Herr», sagte sie unaufgefordert. «Babette hatte zu Lebzeiten nur ein Auge, das ist richtig. Aber als sie in die Dienste des Teufels trat, hat er ihr das verlorene Auge zurückgegeben.»
Dürr trat auf sie zu. «Und wieso sollte der Teufel das tun?»
«Aus Dankbarkeit.»
Er lachte lauf auf, sodass sich selbst Faltermayer über den Gefühlsausbruch wunderte. «Wofür sollte er ihr denn dankbar sein?»
«Weil sie eine seiner wertvollsten Dienerinnen ist. Babette hat viele Kinder auf die Welt gebracht, mehr als jede andere in dieser Stadt.»
Das Argument hatte Gewicht. «Das fällt dir erst jetzt ein?», schalt er sie. «Wieso hast du das nicht früher
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