Die Kindes des Todes - Inspektor Rebus 14
wurde, dass er in ein Jackett eingezwängt war, das er sich vor drei Jahren auf Zuwachs gekauft hatte. »Es heißt, der Mann sei verfolgt worden.« »Verfolgt?« Ein weiteres Achselzucken. »Mehr werde ich erst vor Ort erfahren.« Siobhan nickte. »Also, worauf warten wir noch?« Sie nahmen Silvers' Auto. Er fragte sie nach South Queensferry, nach Rebus und dem Wohnungsbrand, ihre Antworten fielen jedoch sehr kurz aus. Irgendwann war die Botschaft bei ihm angekommen, und er schaltete das Radio ein und summte bei Oldtime Jazz mit, dem Musikstil, den sie am wenigsten leiden konnte. »Hören Sie manchmal Mogwai, George?« »Kenn ich nicht. Warum?« »Ach, nur so...« Die Brücke lag etwas abseits der Straße. Silvers parkte hinter einem Streifenwagen. Jenseits einer Bushaltestelle erstreckte sich eine Wiese. Siobhan und Silvers überquerten sie zu Fuß und kamen zu einem niedrigen, von Disteln und Dornensträuchern überwucherten Zaun. An einer Stelle wurde der Zaun von einer kurzen Eisentreppe unterbrochen, die zu der Brücke über die Gleise führte. Auf der Brücke hatten sich bereits etliche Leute der benachbarten Wohnblocks versammelt. Ein Polizist in Uniform fragte jeden einzelnen, ob er oder sie etwas gehört oder gesehen hatte.
»Wie zum Teufel sollen wir da runterkommen?«, grummelte Silvers. Siobhan zeigte ans andere Ende der Brücke, wo man einen improvisierten Tritt aus Milchkisten und Mauersteinen errichtet und eine alte Matratze über den Zaun gehängt hatte. Als sie dort ankamen, beschloss Silvers nach einem kurzen Blick, sich die Kletterpartie zu ersparen. Er sagte nichts, sondern schüttelte bloß den Kopf. Siobhan dagegen kletterte über das Geländer und rutschte die steile Böschung hinunter, wobei sie sich bemühte, die Absätze ihrer Schuhe möglichst tief in den weichen Boden zu drücken, während ihr zugleich Brennnesseln in die Knöchel stachen und dornige Zweige sich an ihren Hosenbeinen festhakten. Um die bäuchlings daliegende Leiche hatten sich mehrere Personen versammelt. Siobhan erkannte einige Kollegen von der Polizeiwache in Craigmillar und Dr. Curt, den Gerichtsmediziner. Er sah sie und lächelte zur Begrüßung. »Wir können von Glück sagen, dass man die Strecke noch nicht wieder in Betrieb genommen hat«, sagte er. »So ist der arme Kerl wenigstens noch in einem Stück.« Sie schaute hinunter auf den verrenkten, leblosen Körper. Der Duffelcoat des Mannes war offen und gab den Blick auf ein weites, kariertes Hemd frei. Außerdem trug er eine braune Cordhose und braune Halbschuhe. »Ein paar Leute haben angerufen«, sagte einer von den Detectives aus Craigmillar zu ihr, »und berichtet, sie hätten ihn auf den Straßen herumlaufen sehen.« »Das dürfte hier in der Gegend nicht besonders ungewöhnlich sein...«
»Nur, dass er anscheinend auf der Suche nach jemandem war, weil er ihm ans Leder wollte. Hatte die ganze Zeit eine Hand in der Tasche, als habe er eine Waffe dabei.« »Und hat er?« Der Detective schüttelte den Kopf. »Vielleicht hat er sie fallen gelassen, als er verfolgt wurde. Sollen Jugendliche aus dem Viertel gewesen sein.« Siobhan ließ den Blick zwischen der Leiche und der Brücke hin und her wandern. »Haben sie ihn erwischt?« Der Detective zuckte die Achseln.
»Wissen wir, wer er ist?« »In der Gesäßtasche steckte der Ausweis einer Videothek. Nachname Callis. Vorname fängt mit A an. Jemand von uns schaut gerade im Telefonbuch nach. Wenn das uns nicht weiterbringt, holen wir uns bei der Videothek die Adresse.« »Callis?« Siobhan zog die Augenbrauen zusammen. Sie versuchte, sich zu erinnern, wo sie den Namen schon einmal gehört hatte... Dann fiel es ihr schlagartig ein. »Andy Callis«, sagte sie, fast wie zu sich selbst. Der Detective hatte es gehört. »Sie kannten ihn?« Siobhan schüttelte den Kopf. »Aber ich kenne jemanden, bei dem das womöglich der Fall ist. Wenn es ein und derselbe Mann ist, dann hat er drüben in Alnwickhill gewohnt.« Sie griff nach ihrem Handy. »Ach, und noch etwas... wenn er es wirklich ist, dann war er einer von uns.« »Ein Polizist.« Sie nickte. Der Detective aus Craigmillar sog zwischen den Zähnen Luft ein und starrte mit neu erwachter Entschlossenheit hinauf zu den Zuschauern auf der Brücke.
16
Niemand zu Hause.
Rebus schaute sich seit knapp einer Stunde Miss Teris Zimmer an. Undurchdringliche Finsternis. Wie in seinem Gedächtnis. Er erinnerte sich noch nicht einmal, welche seiner Freunde er damals im Park
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