Die Kindes des Todes - Inspektor Rebus 14
getroffen hatte. Allan Renshaw hingegen war jener Tag auch mehr als dreißig Jahre später noch präsent. Unauslöschlich. Komisch, was man sich alles merkte und was nicht. Das Gehirn verblüffte einen jedes Mal von neuem, wenn ein Geräusch oder Gefühl ein längst vergessenes Ereignis heraufbeschwor. Rebus fragte sich, ob Allan womöglich nur deshalb zornig auf ihn war, weil sich dieser Zorn anbot. Was für einen Sinn hatte es, zornig auf Lee Herdman zu sein? Lee Herdman war nicht verfügbar, während Rebus eine gute Zielscheibe abgegeben hatte, so als wäre das der alleinige Zweck seines Besuchs gewesen.
Auf dem Bildschirm des Notebooks erschien der Bildschirmschoner, und Meteore kamen aus den Tiefen der Finsternis geflogen. Rebus drückte auf die Eingabe-Taste und war wieder in Teri Cotters Zimmer. Wieso schaute er sich das an? Weil es seine voyeuristischen Gelüste befriedigte? Aus diesem Grund hatte er immer gerne an Observierungen teilgenommen: Einblicke in fremder Leute Leben. Er fragte sich, was Teri von der Sache hatte. Geld brachte es ihr nicht ein. Es gab keinen unmittelbaren Austausch, keine Möglichkeit für die Zuschauer, mit ihr direkt in Kontakt zu treten, oder für sie, mit ihrem Publikum zu kommunizieren. Was war es dann? Das Bedürfnis, sich zur Schau zu stellen? Also vergleichbar mit ihrer Angewohnheit, in der Cockburn Street herumzulungern, wo sie angestarrt und manchmal sogar tätlich angegriffen wurde. Sie hatte ihrer Mutter vorgeworfen, ihr nachzuspionieren, und dennoch war sie beim Auftauchen der Lost Boys schnurstracks ins Sonnenstudio ihrer Mutter gelaufen. Schwer zu sagen, wie die Beziehung zwischen den beiden einzuordnen war. Rebus' Tochter hatte während der Pubertät mit ihrer Mutter in London gewohnt und war für Rebus all die Jahre ein Rätsel geblieben. Seine Ex-Frau hatte ihn ab und zu angerufen, um sich über Samanthas »Aufsässigkeit« oder ihre »Launen« zu beklagen, hatte bei ihm Dampf abgelassen und dann wieder aufgelegt. Das Telefon.
Es klingelte. Das Handy. Es war ans Netzteil angeschlossen, um den Akku aufzuladen. Er ging ran. »Ja bitte?« »Ich habe versucht, Sie auf der Festnetz-Leitung anzurufen.« Siobhans Stimme. »Aber da war besetzt.« Rebus schaute zum Notebook hinüber, das mit seiner Telefonbuchse verbunden war. »Was gibt's?« »Der Freund von Ihnen, den Sie an dem Abend besucht haben, als wir uns zufällig begegnet sind...« Sie rief vom Handy an, es klang, als wäre sie irgendwo im Freien. »Andy?«, sagte er. »Andy Callis?« »Können Sie ihn beschreiben?« Rebus erstarrte. »Was ist passiert?« »Hören Sie, vielleicht ist er es ja gar nicht...« »Wo sind Sie?« »Beschreiben Sie ihn bitte... dann riskieren Sie nicht, umsonst loszufahren.« Rebus kniff die Augen zusammen und sah im Geiste Andy Callis in seinem Wohnzimmer vor dem Fernsehapparat sitzen, die Füße hochgelegt. »Anfang vierzig, dunkelbraune Haare, eins achtundsiebzig, etwa achtzig Kilo, schätze ich...« Sie schwieg einen Moment. »Okay«, sagte sie seufzend. »Vielleicht sollten Sie sich doch lieber auf den Weg hierher machen.«
Rebus war schon dabei, seine Jacke zu suchen. Dann fiel ihm das Notebook ein, und er beendete die Internet-Verbindung. »Also, wo sind Sie?«, fragte er.
»Wie wollen Sie herkommen?« »Mein Problem«, sagte er und sah sich nach seinen Schlüsseln um. »Geben Sie mir einfach die Adresse.« Sie wartete am Straßenrand auf ihn, schaute zu, wie er die Handbremse anzog, die Fahrertür öffnete und ausstieg.
»Wie geht's den Händen?«, fragte sie.
»Bis ich losgefahren bin, ging's ihnen gut.« »Schmerzmittel?« Er schüttelte den Kopf. »Ich komme ohne aus.« Er sah sich um. Einige hundert Meter die Straße hinunter war die Bushaltestelle, wo der Taxifahrer wegen der Lost Boys angehalten hatte. Sie gingen in Pachtung Brücke. »Er hat sich einige Stunden lang auf verdächtige Weise in der Gegend herumgetrieben«, erläuterte Siobhan. »Zwei oder drei Leute haben deswegen die Polizei angerufen.« »Und haben wir irgendetwas unternommen?« »Es hatte kein Streifenwagen Zeit dafür«, sagte sie leise. »Wenn einer Zeit gehabt hätte, würde Andy vielleicht noch leben«, erwiderte Rebus schroff. Sie nickte langsam. »Dann hat eine Frau aus der Nachbarschaft lautes Rufen gehört. Sie glaubt, dass ein paar Jugendliche Jagd auf ihn gemacht haben.« »Hat sie jemanden gesehen?« Siobhan schüttelte den Kopf. Inzwischen standen sie auf der Brücke. Ein Teil der
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