Die Kindes des Todes - Inspektor Rebus 14
anfänglichen Schlagkraft verloren hatten. »Wenn er nicht herkommen kann, bin ich durchaus bereit, mich von Ihnen zu ihm bringen zu lassen.« Siobhan spürte, wie ihre Schultern zusammensackten. »Ich muss erst mit ihm reden.« Templer schüttelte den Kopf. »In dieser Sache gibt es keinen Verhandlungsspielraum, Siobhan. Ihnen zufolge hat Fairstone Sie belästigt. Er hat Ihnen das blaue Auge verpasst.« Unwillkürlich hob Siobhan eine Hand an ihren linken Wangenknochen. Die Farbtönung verblasste mehr und mehr, sah inzwischen eher wie ein Schatten aus. Man konnte sie mit Make-up verdecken oder mit Müdigkeit erklären. Aber Siobhan sah sie immer noch, wenn sie in den Spiegel schaute.
»Und jetzt ist er tot«, fuhr Templer fort. »Bei einem Wohnungsbrand, verursacht womöglich durch Fremdeinwirkung. Sie werden daher verstehen, dass ich mit jedem sprechen muss, der ihn an jenem Abend gesehen hat.« Sie legte erneut eine Pause ein. »Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen, Siobhan?« »Wen - Fairstone oder DI Rebus?« »Beide, von mir aus.«
Siobhan sagte nichts. Ihre Hände wollten die Metallarmlehnen ihres Stuhls umklammern, aber dann stellte sie fest, dass er keine Armlehnen hatte. Ein neuer Stuhl, unbequemer als der alte. Dann sah sie, dass Templers Stuhl ebenfalls neu war, und einige Zentimeter höher gestellt als früher. Ein kleiner Trick, um sich einen Vorteil gegenüber ihren Besuchern zu verschaffen... was bedeutete, dass die Chefin glaubte, solche Hilfsmittel nötig zu haben.
»Ich glaube nicht, dass ich bereit bin, darauf eine Antwort zu geben, Madam.« Siobhan legte eine Pause ein. »Mit Verlaub.« Sie stand auf und fragte sich gleichzeitig, ob sie sich auf Befehl wieder hinsetzen würde. »Das enttäuscht mich sehr, DS Clarke.« Templers Stimme klang kühl; keine Anrede mit dem Vornamen mehr. »Werden Sie John von unserer Unterhaltung erzählen?« »Wenn Sie das möchten.« »Ich gehe davon aus, dass Sie beide Ihre Versionen der Geschichte vor einer offiziellen Untersuchung aufeinander abstimmen wollen.« Siobhan nahm die Drohung mit einem Nicken zur Kenntnis. Gill Templer brauchte bloß den Antrag zu stellen, und schon würde das Complaints Department auf der Bildfläche erscheinen, mit einem Haufen misstrauischer Fragen im Gepäck. Das Complaints Department: vollständige Bezeichnung Complaints and Conduct Department - Abteilung für Beschwerden und dienstliches Fehlverhalten.
»Vielen Dank, Madam«, sagte Siobhan lediglich, öffnete die Tür und machte sie gleich darauf hinter sich zu. Am Ende des Flurs befand sich eine Toilette, und sie schloss sich darin ein, setzte sich, holte eine kleine Papiertüte aus der Tasche und atmete eine Weile lang hinein. Als sie das erste Mal eine Panikattacke erlitten hatte, kam es ihr so vor, als würde sie gleich einen Herzstillstand erleiden: ihr Herz pochte laut, ihre Lungen schienen den Dienst zu versagen, ihr ganzer Körper stand unter Strom. Ihr Arzt riet ihr, sich ein paar Tage freizunehmen. Sie hatte seine Praxis in der Erwartung betreten, dass er sie zu Untersuchungen ins Krankenhaus überweisen würde, aber stattdessen sagte er zu ihr, sie solle sich einen Ratgeber besorgen, der von ihren Beschwerden handelte. Sie kaufte sich einen in der Apotheke. Im ersten Kapitel war jedes einzelne ihrer Symptome aufgelistet, und es wurden einige Vorschläge gemacht. Den Konsum von Koffein und Alkohol einschränken. Weniger Salz und Fett essen. In eine Papiertüte atmen, wenn ein Anfall bevorzustehen schien. Der Arzt hatte gesagt, ihr Blutdruck sei etwas zu hoch und hatte sportliche Betätigung empfohlen. Daraufhin gewöhnte sie sich an, eine Stunde früher nach St. Leonard's zu fahren und vor der Arbeit im Fitnessraum zu trainieren. Der Commonwealth Pool befand sich nur ein paar Straßenzüge entfernt, und sie fasste den Vorsatz, dort regelmäßig schwimmen zu gehen.
»Ich ernähre mich ziemlich gesund«, hatte sie zum Arzt gesagt. »Versuchen Sie mal, eine Woche lang Buch zu führen«, hatte er erwidert. Bis jetzt hatte sie sich noch nicht die Mühe gemacht. Und sie vergaß immer wieder, ihren Badeanzug mitzunehmen. Es war nur allzu leicht, die Schuld auf Martin Fairstone zu schieben. Fairstone: wegen zwei Anklagen vor Gericht - Einbruch und Körperverletzung. Als er die Wohnung verließ, in die er gerade eingebrochen hatte, stellte sich ihm eine Nachbarin in den Weg; Fairstone knallte den Kopf der Frau gegen eine Wand und trat ihr so brutal ins Gesicht, dass die Sohle
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