Die Kindes des Todes - Inspektor Rebus 14
Krankschreibungen, Papierkram, Gerichtstermine... und ein Tag hatte einfach nicht genug Stunden. Siobhan war sich bewusst, dass auf ihrem Schreibtisch einiges liegen geblieben war. Wegen Fairstone hatte ihre Arbeit gelitten. Sie spürte noch immer seine Gegenwart. Wenn ein Telefon klingelte, erstarrte sie, und sie hatte sich ein paar Mal dabei ertappt, wie sie zum Fenster gegangen war, um nachzusehen, ob draußen sein Wagen stand. Sie wusste, sie benahm sich irrational, konnte daran aber nichts ändern. Wusste auch, dass sie über so etwas mit niemandem reden konnte - ohne Schwäche zu zeigen. Ein Telefon begann zu klingeln. Nicht ihres, sondern das von Rebus. Wenn niemand abhob, würde die Zentrale es vielleicht unter einem anderen Anschluss versuchen. Sie ging hinüber und wünschte dabei inständig, es möge verstummen. Das tat es aber erst, als sie den Hörer abnahm. »Hallo?« »Mit wem spreche ich?« Eine männliche Stimme. Energisch, geschäftsmäßig. »DS Clarke.« »Tag, Shiv. Hier spricht Bobby Hogan.« Detective Inspector Bobby Hogan. Sie hatte ihn schon einmal gebeten, sie nicht Shiv zu nennen. Immer wieder wurde sie so genannt. Siobhan, Schiwahn ausgesprochen, wurde zur Kurzform Shiv. Wenn fremde Leute ihren Namen aufschrieben, kamen dabei alle möglichen falschen Schreibweisen heraus. Ihr fiel ein, dass Fairstone sie, im Bemühen um Vertraulichkeit, ein paar Mal Shiv genannt hatte. Sie konnte es nicht leiden, und eigentlich sollte sie Hogan verbessern, ließ es aber sein. »Viel zu tun?«, fragte sie stattdessen.
»Wissen Sie, dass ich für die Sache in Port Edgar zuständig bin?« Er brach ab. »Blöde Frage, natürlich wissen Sie's.« »Sie sind wirklich telegen, Bobby.« »Ich bin zwar für Schmeicheleien stets empfänglich, Shiv, aber die Antwort lautet >nein<.« Sie musste unwillkürlich lächeln. »Ich ertrinke momentan nicht gerade in Arbeit«, log sie, den Blick auf die Akten auf ihrem Tische gerichtet. »Wenn ich ein zusätzliches Paar Hände brauche, melde ich mich bei Ihnen. Ist John da?« »Der beliebteste Kollege von allen? Er hat sich krankgemeldet. Was wollen Sie von ihm?« »Ist er zu Hause?« »Ich könnte ihm wahrscheinlich eine Nachricht übermitteln.« Ihr Interesse war geweckt. Hogans Stimme hatte etwas Dringliches an sich.
»Sie wissen, wo er ist?« »Ja.« »Wo?« »Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet: Was wollen Sie von ihm?« Hogan stieß einen langen Seufzer aus. »Ich brauche das erwähnte zusätzliche Paar Hände«, sagte er zu ihr. »Und es müssen unbedingt seine sein?« »Glaube schon.« »Ich bin am Boden zerstört.« Er ging nicht darauf ein. »Wie schnell können Sie es ihm ausrichten?« »Womöglich ist er gesundheitlich nicht in der Lage, Ihnen zu helfen.« »Sofern er nicht gerade an der eisernen Lunge hängt, kann er mir hier nützen.« Sie lehnte sich an Rebus' Tisch an. »Was ist bei Ihnen los?« »Sagen Sie ihm einfach, er soll mich anrufen, okay?« »Sind Sie in der Schule?« »Er soll es am besten auf meinem Handy probieren. Wiederhören, Shiv.« »Warten Sie!« Siobhan schaute zur Tür hinüber. »Was?« Hogans Ungeduld war nicht zu überhören. »Er ist gerade gekommen. Ich reiche Sie weiter.« Sie streckte den Hörer Rebus entgegen. All seine Kleidungsstücke saßen irgendwie schief. Zuerst dachte sie, er sei betrunken, aber dann wurde ihr klar, woran es lag. Er hatte Probleme gehabt, sich anzuziehen. Das Hemd war mehr schlecht als recht unter den Hosenbund gestopft worden. Die Krawatte hing lose um den Hals. Statt Siobhan den Hörer abzunehmen, stellte er sich vor sie hin und hielt das Ohr dagegen. »Bobby Hogan«, erklärte sie.
»Tag, Bobby.« »John? Die Verbindung ist plötzlich so schlecht...« Rebus schaute Siobhan an. »Näher ran«, flüsterte er. Sie drehte den Hörer, bis sie sein Kinn berührte, und bemerkte dabei, dass sein Haar dringend gewaschen werden musste. Vorne klebte es an der Kopfhaut, und hinten stand es ab.
»Besser so, Bobby?« »Ja, prima. Du musst mir einen Gefallen tun, John.« Als Siobhan die Hand mit dem Hörer etwas sacken ließ, schaute Rebus zu ihr hoch. Ihr Blick war erneut auf die Tür gerichtet. Er drehte sich um und sah Gill Templer. »In mein Büro!«, bellte sie. »Sofort!« Rebus fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. »Ich glaube, ich muss dich später zurückrufen, Bobby. Die Chefin will mit mir reden.« Er richtete sich auf und nahm Hogans Stimme nur noch blechern wie die eines Automaten
Weitere Kostenlose Bücher