Die Kindes des Todes - Inspektor Rebus 14
und der Opfer. Sie betrachtete die beiden Gesichter, das von Derek Renshaw und das von Anthony Jarvies. Beide sahen gut aus, wenn auch auf etwas farblose Weise. Der feste Blick aus Jarvies' leicht geschlossenen Augen vermittelte den Eindruck von Intelligenz und Überheblichkeit. Renshaw wirkte viel weniger selbstsicher. Vielleicht war es eine Frage der Klassenzugehörigkeit, und Jarvies' Herkunft machte sich bemerkbar. Allan Renshaw war bestimmt stolz darauf gewesen, dass Derek den Sohn eines Richters zu seinen Freunden hatte zählen dürfen. Deshalb schickte man schließlich seine Kinder auf eine Privatschule. Man wollte, dass sie die richtigen Leute kennen lernten, Leute, die ihnen im späteren Leben nützlich sein könnten. Siobhan kannte Polizisten, und nicht nur Bezieher eines CID-Gehalts, die ständig knauserten, um ihrem Nachwuchs den Besuch von Schulen zu ermöglichen, auf die sie selbst nicht hatten gehen können. Wieder das Thema Klassenzugehörigkeit. Sie dachte über Lee Herdman nach. Er war in der Armee gewesen, beim SAS... war von Offizieren herumkommandiert worden, die auf den richtigen Schulen gewesen waren, das richtige Englisch sprachen. War es womöglich so simpel? War seine Tat vielleicht nur in tief sitzendem Neid auf eine Elite begründet? Völlig klare Sache... Als ihr die Bemerkung wieder einfiel, die sie Rebus gegenüber gemacht hatte, musste sie laut lachen. Wenn es so klar war, worüber grübelte sie dann nach? Wieso ackerte sie von früh bis spät? Was hinderte sie daran, den Fall für eine Weile aus ihren Gedanken zu verbannen und sich zu entspannen? »Ach, was soll's«, sagte sie, setzte sich an den Tisch, schob den Papierkram beiseite und stellte Derek Renshaws Notebook vor sich hin. Sie startete es und stöpselte das Internet-Kabel in die Telefonbuchse ein. Es galt, sich die restlichen E-Mails anzuschauen, und das waren genug, um sie, wenn nötig, die halbe Nacht wachzuhalten. Außerdem gab es noch jede Menge anderer Dateien, die überprüft werden mussten. Sie wusste, die Arbeit würde beruhigend auf sie wirken. Beruhigend deshalb, weil es Arbeit war. Sie machte sich einen zweiten Becher entkoffeinierten Kaffee und vergaß dieses Mal nicht, den Wasserkocher anzustellen. Ging mit dem heißen Gebräu ins Wohnzimmer. Mit dem Passwort »Miles« kam sie an die neuen Nachrichten, aber die meisten waren bloß Spam-Mails, abgeschickt von Leuten, die jemandem eine Versicherung oder Viagra andrehen wollten, von dem sie nicht wissen konnten, dass er tot war. Ein paar stammten auch von Leuten, denen aufgefallen war, dass Derek sich nicht mehr an den Diskussionen in den verschiedenen Chatgroups und Foren beteiligte. Siobhan hatte eine Idee und bewegte den Maus-Pfeil an den oberen Rand des Bildschirms, wo sie »Favoriten« anklickte. Es erschien eine Liste mit Internet-Adressen, die für Derek offenbar von besonderem Interesse gewesen waren. Seine Chatgroups und Foren gehörten dazu, außerdem die üblichen Verdächtigen: Amazon, BBC, Ask Jeeves... Aber eine Adresse war ungewöhnlich. Siobhan klickte sie an. Es dauerte nur ein paar Sekunden, bis die Verbindung aufgebaut war.
WILLKOMMEN IN MEINER FINSTERNIS!
Die Worte waren mattrot und pulsierten. Den Rest des Fensters nahm ein leerer Hintergrund ein. Siobhan bewegte den Pfeil auf das Wund machte einen Doppelklick. Diesmal dauerte der Aufbau der Seite etwas länger. Die Innenaufnahme eines Zimmers wurde sichtbar. Das Bild war relativ unscharf. Sie versuchte, am Kontrast und der Helligkeit des Bildschirms etwas zu ändern, aber das Bild an sich schien nicht das Problem zu sein, daher konnte sie wenig ausrichten. Sie sah ein Bett und dahinter ein von Vorhängen verdecktes Fenster. Sie bewegte den Pfeil auf dem Bildschirm hin und her, aber es tauchten keine verborgenen Markierungen auf, die sie anklicken konnte. Es gab nicht mehr als das, was sie sah. Sie lehnte sich mit verschränkten Armen zurück, überlegte, was das zu bedeuten hatte, wieso sich Derek Renshaw für diesen Anblick interessiert haben mochte. Vielleicht war es sein Zimmer. Vielleicht war die »Finsternis« eine weitere Facette von ihm. Dann tat sich etwas auf dem Bildschirm, ein sonderbares gelbliches Licht streifte durch das Zimmer. Eine technische Störung? Siobhan beugte sich vor, klammerte sich an der Tischkante fest. Sie wusste nun, was es war. Es war das Scheinwerferlicht eines vorbeifahrenden Wagens, das durch die Vorhänge schien. Also kein Foto, kein Standbild.
»Eine
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