Die Kindheit Jesu: Roman (German Edition)
Beitrag mitgebracht.«
Ohne ein Wort des Dankes nimmt Inés das Geld entgegen. »Ja, bei uns ist alles bestens«, sagt sie. Sie drückt das Kind fest an sich. »Wir haben ordentlich zu Mittag gegessen und dann ein Schläfchen gemacht, und jetzt fahren wir mit dem Auto, um Bolívar zu besuchen, und morgen Vormittag werden wir Tennis spielen und schwimmen.«
»Das klingt aufregend«, sagt er. »Und wir haben auch ein hübsches neues Hemd, wie ich sehe.«
Der Junge erwidert nichts. Mit dem Daumen im Mund hat er nicht aufgehört, ihn mit diesen großen Augen anzustarren. Er kommt immer mehr zu der Überzeugung, dass etwas schiefläuft.
»Wer ist Bolívar?«, fragt er.
Zum ersten Mal spricht der Junge. »Bolívar ist ein Schafhund.«
»Ein Schäferhund«, sagt Inés. »Bolívar ist unser Hund.«
»Ach ja, Bolívar«, sagt er. »Der war doch mit euch auf dem Tennisplatz, nicht wahr? Ich will nicht überängstlich sein, Inés, aber Schäferhunde haben keinen guten Ruf, was Kinder betrifft. Ich hoffe, dass Sie aufpassen.«
»Bolívar ist der freundlichste Hund der Welt.«
Er weiß, dass sie ihn nicht leiden kann. Bis zu diesem Augenblick hat er angenommen, das sei, weil sie in seiner Schuld steht. Aber nein, die Abneigung ist persönlicher und direkter, und deshalb hartnäckiger. Wie schade! Dem Kind wird beigebracht werden, ihn als Feind zu betrachten, der Feind ihrer Mutter-Kind-Seligkeit.
»Ich wünsche dir eine wunderschöne Zeit«, sagt er. »Vielleicht komme ich am Montag wieder vorbei. Dann kannst du mir alles erzählen. Einverstanden?«
Der Junge nickt.
»Auf Wiedersehen«, sagt er.
»Auf Wiedersehen«, sagt Inés. Von Diego kein Wort.
Er trottet zurück zum Hafen, mit dem Gefühl, dass etwas in ihm erloschen ist, mit dem Gefühl, ein alter Mann zu sein. Er hatte eine große Aufgabe, und diese Aufgabe ist erledigt. Der Junge wurde an seine Mutter übergeben. Wie eins der traurigen männlichen Insekten, deren einzige Funktion ist, ihren Samen an das Weibchen zu übergeben, könnte er jetzt genauso gut verkümmern und sterben. Es ist nichts mehr da, auf das er sein Leben ausrichten könnte.
Er vermisst den Jungen. Als er am nächsten Morgen aufwacht, das leere Wochenende vor sich, ist es, als wache er nach einer Operation auf und stelle fest, dass ihm ein Bein entfernt wurde – ein Bein oder vielleicht sogar das Herz. Er bringt den Tag damit zu, ziellos herumzulaufen, die Zeit totzuschlagen. Er wandert in den leeren Hafenanlagen herum; er streift kreuz und quer durch den Park, wo Scharen von Kindern Ball spielen oder Drachen steigen lassen.
Das Gefühl, die verschwitzte kleine Hand des Jungen in der seinen zu halten, ist ihm noch lebhaft gegenwärtig. Ob der Junge ihn geliebt hat, weiß er nicht, aber ganz sicher hat er ihn gebraucht und ihm vertraut. Ein Kind gehört zu seiner Mutter – keinen Augenblick lang würde er das leugnen. Aber wenn die Mutter nun keine gute Mutter ist? Wenn Elena nun recht hat? Aus welchem Komplex privater Bedürfnisse heraus hat diese Inés, von deren Geschichte er nicht das Geringste weiß, die Chance ergriffen, ein eigenes Kind zu haben? Vielleicht ist das Gesetz der Natur ja weise, das besagt, bevor das embryonische Wesen, das werdende Wesen, als lebendige Seele in die Welt treten kann, muss es eine Zeitlang im Schoß der Mutter getragen werden. Vergleichbar mit den Wochen der Innerlichkeit, die der Muttervogel auf den Eiern sitzend verbringt, ist eine Periode der Abgeschiedenheit und Selbstbesinnung nicht nur für einen winzigen Organismus, der ein Mensch werden soll, nötig, sondern auch für eine Frau, die von einer Jungfrau zu einer Mutter werden soll.
Irgendwie geht der Tag vorüber. Er denkt daran, Elena aufzusuchen, entscheidet sich in letzter Minute dagegen, weil er sich nicht in der Lage sieht, die nörgelnde Befragung, die ihn dort erwartet, zu ertragen. Er hat nichts gegessen, hat keinen Appetit. Er lässt sich auf seinem Bett aus Säcken nieder, ruhelos, sorgenvoll.
Am nächsten Tag ist er im Morgengrauen an der Bushaltestelle. Es vergeht eine Stunde, ehe der erste Bus kommt. Von der Endhaltestelle folgt er dem Pfad bergauf zu La Residencia, zum Tennisplatz. Der Platz ist menschenleer. Er lässt sich nieder und wartet.
Um zehn kommt der zweite Bruder, derjenige, dem er noch nicht das Vergnügen hatte, vorgestellt zu werden, in seinen weißen Tennissachen und fängt an, das Netz zu spannen. Er beachtet den Fremden nicht, der keine dreißig Schritte
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