Die Kindheit Jesu: Roman (German Edition)
habe David ermahnt, er solle vorsichtig sein. Auch Fidel habe ich das gesagt.«
»Fidel werde ich ganz bestimmt nicht in seine Nähe lassen. Bist du sicher, dass du das Richtige getan hast, dein Kind an eine solche Frau wegzugeben?«
»An eine Frau mit Hund?«
»An eine kinderlose Frau in den Dreißigern. Eine Frau, die ihre Zeit damit zubringt, Sport mit Männern zu treiben. Eine Frau, die Hunde hält.«
»Inés spielt Tennis. Viele Frauen spielen Tennis. Es macht Spaß. Es hält dich fit. Und sie hat nur einen Hund.«
»Hat sie dir irgendetwas über ihre Herkunft, ihre Vergangenheit erzählt?«
»Nein. Ich habe sie nicht gefragt.«
»Nun, meiner Meinung nach bist du nicht bei Trost, dein Kind an eine Fremde zu übergeben, die nach allem, was du weißt, eine zweifelhafte Vergangenheit gehabt hat.«
»Das ist Unsinn, Elena. Inés hat keine Vergangenheit, keine, die zählt. Keiner von uns hat eine Vergangenheit. Wir fangen hier neu an. Wir fangen als unbeschriebenes Blatt an, als jungfräuliches Blatt. Und Inés ist keine Fremde. Ich habe sie erkannt, sobald ich sie erblickt habe, was bedeutet, dass ich sie irgendwie schon vorher gekannt haben muss.«
»Du kommst hier ohne Erinnerungen an, als unbeschriebenes Blatt, aber du behauptest, Gesichter aus der Vergangenheit wiederzuerkennen. Das ergibt keinen Sinn.«
»Es ist wahr: Ich habe keine Erinnerungen. Aber Bilder sind noch erhalten, Schatten von Bildern. Wie das kommt, kann ich nicht erklären. Etwas Tieferes ist auch erhalten geblieben, was ich die Erinnerung daran, eine Erinnerung zu haben, nenne. Nicht aus der Vergangenheit erinnere ich mich an Inés, sondern von anderswo. Es ist, als ob das Bild von ihr in mir eingebettet gewesen wäre. Ich habe keine Zweifel an ihr, keine nachträglichen Bedenken. Zumindest zweifle ich nicht, dass sie die wahre Mutter des Jungen ist.«
»Welche Zweifel hast du dann?«
»Ich hoffe nur, dass sie für ihn gut ist.«
Dreizehn
I m Rückblick markiert dieser Tag, als Elena ihren Sohn zu ihm in den Hafen geschickt hat, den Moment, an dem er und sie, die in seiner Vorstellung zwei Schiffe auf einem beinahe windstillen Ozean waren, vielleicht dahintreibend, aber im Großen und Ganzen aufeinander zu treibend, auseinander zu treiben begannen. Es gibt immer noch vieles, was ihm an Elena gefällt, nicht zuletzt ihre Bereitschaft, sich seine Klagen anzuhören. Aber das Gefühl verfestigt sich, dass etwas, das zwischen ihnen vorhanden sein sollte, fehlt; und wenn Elena dieses Gefühl nicht teilt, wenn sie glaubt, nichts fehle, dann kann sie nicht sein, was in seinem Leben fehlt.
Er sitzt auf einer Bank in den Außenanlagen der Ostsiedlung und schreibt eine Mitteilung an Inés.
Ich habe mich mit einer Frau angefreundet, die auf der anderen Seite des Hofes, im Wohnblock C wohnt. Sie heißt Elena. Sie hat einen Sohn namens Fidel, der zu Davids engstem Freund geworden ist und einen beruhigenden Einfluss auf ihn ausübt. Für einen Jungen hat Fidel ein gutes Herz, werden Sie feststellen.
David hat bei Elena Musikunterricht gehabt. Überreden Sie ihn doch einmal, Ihnen etwas vorzusingen. Er singt wunderbar. Mein Gefühl ist, dass er mit seinem Unterricht weitermachen sollte, aber natürlich ist das Ihre Entscheidung.
David versteht sich auch mit meinem Vorarbeiter im Hafen, Álvaro, ein weiterer guter Freund. Wenn man gute Freunde hat, ermuntert das einen, selbst gut zu sein. Dass er eine gute Entwicklung nimmt – ist das nicht, was wir uns beide für David wünschen?
Wenn ich Ihnen in irgendeiner Weise behilflich sein kann [schließt er den Brief], brauchen Sie nur ein Zeichen zu geben. An den meisten Tagen bin ich im Hafen, auf Kai Zwei. Fidel überbringt gern Botschaften; David kennt den Weg auch.
Er steckt die Mitteilung in Inés’ Briefkasten. Er erwartet keine Antwort und erhält tatsächlich auch keine. Er hat keine klare Vorstellung davon, was für eine Frau Inés ist. Ist sie eine Frau, die zum Beispiel gutgemeinte Ratschläge anzunehmen gewillt ist, oder ist sie eine, die ungehalten reagiert, wenn Fremde ihr sagen wollen, wie sie ihr Leben zu führen hat, die ihre Botschaften in den Abfall wirft? Ob sie überhaupt ihren Briefkasten kontrolliert?
Im Souterrain von Wohnblock F der Ost-Vorstadt, im selben Block, in dem sich auch die städtische Turnhalle befindet, ist ein Bäckerladen, den er bei sich Verpflegungsstützpunkt nennt. Er hat an Wochentagen vormittags von neun bis zwölf geöffnet. Außer Brot und anderen
Weitere Kostenlose Bücher