Die Kindheit Jesu: Roman (German Edition)
Backwaren verkauft er zu lachhaft niedrigen Preisen solche Grundnahrungsmittel wie Zucker, Salz, Mehl und Speiseöl.
Im Verpflegungsstützpunkt kauft er einen Vorrat an Büchsensuppen, den er zu seinem Unterschlupf im Hafen bringt. Seine Abendmahlzeit besteht, wenn er allein ist, aus Brot und Suppe, kalt. Er gewöhnt sich an die Gleichförmigkeit.
Da die meisten Bewohner der Siedlung den Verpflegungsstützpunkt nutzen, glaubt er, dass auch Inés ihn nutzen wird. Er spielt mit der Idee, an einem Vormittag dort herumzulungern, in der Hoffnung, sie und den Jungen zu sehen, nimmt aber dann davon Abstand. Es wäre zu beschämend, wenn sie zufällig auf ihn träfe, wie er zwischen den Regalen lauert und ihr nachspioniert.
Er möchte sich nicht in ein Gespenst verwandeln, unfähig, seine alten Stätten zu verlassen. Er ist bereit zu akzeptieren, dass der beste Weg für Inés, eine vertrauensvolle Beziehung zu dem Kind aufzubauen, darin besteht, es für eine Weile ganz für sich zu haben. Aber da ist eine nagende Furcht, die er nicht beschwichtigen kann: dass das Kind einsam und unglücklich sein könnte und sich nach ihm sehnte. Er kann den Ausdruck in den Augen des Kindes nicht vergessen, als er zu Besuch war, voll von stummem Zweifel. Ihn verlangt danach, den Jungen wieder so zu sehen wie früher, mit seiner kleinen Schirmmütze und den schwarzen Stiefeln.
Hin und wieder erliegt er der Versuchung und treibt sich am Rand der Siedlung herum. Bei einem solchen Besuch erblickt er Inés beim Abnehmen der Wäsche von der Leine. Obwohl er sich nicht sicher sein kann, wirkt sie auf ihn müde, müde und vielleicht traurig. Kann es sein, dass es ihr schlechtgeht?
Er erkennt die Sachen des Jungen auf der Leine, einschließlich der Bluse mit der Rüschenbrust.
Bei einem weiteren – und wie sich herausstellt, dem letzten – dieser heimlichen Besuche, beobachtet er das Familientrio – Inés, das Kind, den Hund –, wie es aus der Siedlung auftaucht und sich in Bewegung setzt, über den Rasen in Richtung Park. Ihn überrascht dabei, dass der Junge, bekleidet mit seinem grauen Mantel, nicht läuft, sondern in einem Sportwagen gefahren wird. Warum muss ein Fünfjähriger gefahren werden? Warum lässt er das überhaupt mit sich machen?
Er holt sie im wildesten Teil des Parks ein, wo eine hölzerne Fußgängerbrücke über einen Bach führt, der mit Binsen zugewuchert ist. »Inés!«, ruft er.
Inés bleibt stehen und dreht sich um. Der Hund dreht sich ebenfalls um, spitzt die Ohren und zerrt an der Leine.
Er setzt beim Näherkommen ein Lächeln auf. »Was für ein Zufall! Ich war unterwegs, um einzukaufen, als ich euch gesehen habe. Wie geht es Ihnen?« Und dann, ohne auf ihre Antwort zu warten, begrüßt er das Kind und sagt: »Ich sehe, du machst eine Ausfahrt. Wie ein junger Prinz.«
Der Blick des Kindes begegnet dem seinen und senkt sich in ihn. Ein Gefühl des Friedens kommt über ihn. Alles ist gut. Die Verbindung zwischen ihnen ist nicht zerbrochen. Aber der Daumen ist wieder im Mund. Kein gutes Zeichen. Der Daumen im Mund bedeutet Unsicherheit, bedeutet ein bekümmertes Gemüt.
»Wir machen einen Spaziergang«, sagt Inés. »Wir brauchen frische Luft. In dieser Wohnung ist es so stickig.«
»Ich weiß«, sagt er. »Sie ist schlecht angelegt. Ich lasse die Fenster Tag und Nacht offen, um sie zu lüften. Will sagen, ich pflegte die Fenster offen zu lassen.«
»Das kann ich nicht machen. Ich möchte nicht, dass David sich erkältet.«
»Oh, er erkältet sich nicht so leicht. Er ist ein zähes Bürschchen – nicht wahr?«
Der Junge nickt. Der Mantel ist ganz bis obenhin zugeknöpft, zweifellos damit die Keime, die der Wind mit sich führt, nicht eindringen.
Langes Schweigen. Er würde gern näher herantreten, aber der Hund hat nicht aufgehört, ihn wachsam anzustarren.
»Wo haben Sie denn dieses« – er zeigt darauf – »dieses Gefährt her?«
»Aus dem Familiendepot.«
»Familiendepot?«
»In der Stadt gibt es ein Depot, wo man Sachen für Kinder bekommt. Wir haben ihm auch ein Kinderbett besorgt.«
»Ein Kinderbett?«
»Ein Bett mit Seitenteilen. Damit er nicht herausfällt.«
»Das ist seltsam. Er hat in einem Bett geschlafen, solange ich mich erinnern kann, und er ist nie herausgefallen.«
Noch bevor er den Satz beendet hat, weiß er, dass er das Falsche gesagt hat. Inés presst die Lippen aufeinander, sie wendet das Gefährt und würde davonmarschieren, wenn sich nicht die Hundeleine in den Rädern
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