Die Kindheit Jesu: Roman (German Edition)
Münzanstalt einfach jedem Geld geben würde, hätte es keinen Wert mehr.«
Er nimmt den Jungen mit zu einem Fußballspiel und bezahlt am Drehkreuz.
»Warum müssen wir bezahlen?«, fragt der Junge. »Vorher mussten wir nicht bezahlen.«
»Das ist das Spiel um die Meisterschaft, das letzte Spiel der Saison. Wenn das Spiel zu Ende ist, bekommen die Gewinner Kuchen und Wein. Jemand muss Geld einsammeln, um den Kuchen und den Wein zu bezahlen. Wenn der Bäcker kein Geld für seinen Kuchen bekommt, kann er kein Mehl und keinen Zucker und keine Butter für den nächsten Kuchen kaufen. Das ist die Regel: Wenn du Kuchen essen willst, musst du für ihn bezahlen. Und das Gleiche gilt für den Wein.«
»Warum?«
»Warum? Die Antwort auf alle deine
Warum?
-Fragen, deine früheren, jetzigen und zukünftigen, ist:
Weil das der Lauf der Welt ist
. Die Welt wurde nicht für unsere Bequemlichkeit geschaffen, mein junger Freund. Wir haben uns anzupassen.«
Der Junge öffnet den Mund zu einer Erwiderung. Rasch presst er einen Finger auf seine Lippen. »Nein«, sagt er. »Keine Fragen mehr. Sei still und schau dir das Fußballspiel an.«
Nach dem Spiel kehren sie in die Wohnung zurück. Inés ist am Herd beschäftigt; es riecht nach verbranntem Fleisch.
»Abendbrotzeit!«, ruft sie. »Geh und wasch dir die Hände!«
»Ich gehe jetzt«, sagt er. »Auf Wiedersehen bis morgen.«
»Müssen Sie gehen?«, sagt Inés. »Möchten Sie nicht bleiben und ihm beim Essen zusehen?«
Der Tisch ist für eine Person gedeckt, für den kleinen Prinzen. Aus der Bratpfanne holt Inés zwei schlanke Würstchen und legt sie auf seinen Teller. Im Halbkreis um sie platziert sie Hälften gekochter Kartoffeln, Möhrenscheiben und Blumenkohlröschen und tröpfelt Bratfett darüber. Bolívar, der beim offenen Fenster geschlafen hat, erhebt sich und kommt angetappt.
»Mm, Würstchen!«, sagt der Junge. »Würstchen esse ich am liebsten.«
»Ich habe Würstchen lange nicht gesehen«, bemerkt er zu Inés. »Wo haben Sie die denn gekauft?«
»Diego hat sie besorgt. Er hat sich mit jemandem vom Küchenpersonal in La Residencia angefreundet.«
Der Junge schneidet seine Würstchen in Stücke, zerschneidet seine Kartoffeln, kaut energisch. Die beiden Erwachsenen, die ihm auf den Teller schauen, oder der Hund, der ihm den Kopf aufs Knie gelegt hat und jede seiner Bewegungen verfolgt, scheinen ihn nicht zu irritieren.
»Vergiss deine Möhren nicht«, sagt Inés. »Sie helfen dir, im Dunkeln zu sehen.«
»Wie eine Katze«, sagt der Junge.
»Wie eine Katze«, sagt Inés.
Der Junge isst seine Möhren. »Wofür ist Blumenkohl gut?«, fragt er.
»Blumenkohl ist gut für deine Gesundheit.«
»Blumenkohl ist gut für die Gesundheit und Fleisch gibt einem Kraft, stimmt’s?«
»Das stimmt, Fleisch macht dich stark.«
»Ich muss gehen«, sagt er zu Inés. »Fleisch macht einen stark, aber vielleicht sollten Sie es sich noch einmal überlegen, ob Sie ihm Würstchen zu essen geben.«
»Warum«, fragt der Junge. »Warum sollte Inés es sich noch einmal überlegen?«
»Wegen der Dinge, die sie in Würste tun. Was in Würste hineinkommt, ist nicht immer gut für dich.«
»Was tun sie in Würste?«
»Was glaubst du denn?«
»Fleisch.«
»Ja, aber was für Fleisch?«
»Kängurufleisch.«
»Jetzt bist du albern.«
»Elefantenfleisch.«
»Sie tun Schweinefleisch in Würste, nicht immer, aber manchmal, und Schweine sind keine sauberen Tiere. Sie fressen nicht wie Schafe und Kühe Gras. Sie fressen alles, was sie finden.« Er schaut Inés an. Sie starrt mit zusammengepressten Lippen zurück. »Sie fressen zum Beispiel Kacke.«
»Aus der Toilette?«
»Nein, nicht aus der Toilette. Aber wenn sie zufällig Kacke auf einer Wiese finden, dann fressen sie die. Ohne zu zögern. Es sind Allesfresser. Sie fressen sich sogar gegenseitig auf.«
»Das ist nicht wahr«, sagt Inés.
»Ist in Würsten Kacke?«, fragt der Junge. Er hat seine Gabel hingelegt.
»Er redet Unsinn, hör nicht auf ihn, in deiner Wurst ist keine Kacke.«
»Ich behaupte nicht, dass wirklich Kacke in deiner Wurst ist«, sagt er. »Aber es steckt Kackfleisch darin. Schweine sind unsaubere Tiere. Schweinefleisch ist Kackfleisch. Aber das ist bloß meine Meinung. Nicht jeder würde mir zustimmen. Du musst selbst entscheiden.«
»Ich will nicht mehr«, sagt der Junge und schiebt seinen Teller beiseite. »Bolívar kann es haben.«
»Iss auf und du bekommst ein Stück Schokolade«, sagt
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