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Die Kindheit Jesu: Roman (German Edition)

Die Kindheit Jesu: Roman (German Edition)

Titel: Die Kindheit Jesu: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.M. Coetzee
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richtigen Atem. Ich habe nicht den Atem des Lebens. Ich kann nur traurig sein. Ich kann nur trauern und dir trauern helfen. Schnell, ehe es dunkel wird, warum gehen wir nicht an den Fluss hinunter und suchen Blumen, die wir El Rey bringen können? Das wird ihm gefallen. Er war ein freundliches Pferd, nicht wahr, obwohl er so riesengroß war. Es wird ihn erfreuen, auf der Pferdefarm mit einem Blumenkranz um den Hals anzukommen.«
    So lockt er den Jungen von dem toten Körper fort, führt ihn zum Flussufer, hilft ihm Blumen pflücken und sie zu einer Girlande zu winden. Sie kehren zurück; der Junge drapiert die Girlande über die toten, starren Augen.
    »So«, sagt er. »Nun müssen wir El Rey verlassen. Er hat eine lange Reise vor sich, den ganzen Weg bis zur großen Pferdefarm. Wenn er dort ankommt, werden die anderen Pferde ihn mit seiner Blumenkrone anschauen und zueinander sagen: ›Er muss ein König gewesen sein, dort, wo er herkommt! Er muss der große El Rey sein, von dem wir gehört haben, der Freund von David!‹«
    Der Junge ergreift seine Hand. Unter einem aufgehenden vollen Mond marschieren sie auf dem Pfad zum Hafen zurück.
    »Steht El Rey jetzt auf, was glaubst du?«, fragt der Junge.
    »Er steht auf, er schüttelt sich, er lässt dieses Wiehern hören, das du kennst, er macht sich auf den Weg, klopp-klopp-klopp, zu seinem neuen Leben. Schluss mit Weinen. Kein Weinen mehr.«
    »Kein Weinen mehr«, sagt der Junge und lebt auf, und zeigt sogar ein kleines fröhliches Lächeln.

Vierundzwanzig
    E r und der Junge haben gemeinsam Geburtstag. Das heißt, weil sie mit demselben Schiff am selben Tag angekommen sind, wurde ihnen als Geburtsdatum das Datum ihrer gemeinsamen Ankunft zugeteilt, ihres gemeinsamen Eintretens in ein neues Leben. Der Junge wurde auf fünf Jahre geschätzt, weil er wie fünf Jahre aussah, wie er auf fünfundvierzig geschätzt wurde (so steht es in seinem Ausweis), weil er an jenem Tag so aussah. (Er war gekränkt gewesen – er hatte sich jünger gefühlt. Jetzt fühlt er sich älter. Er fühlt sich wie sechzig; an manchen Tagen auch wie siebzig.)
    Da der Junge keine Freunde hat, nicht einmal einen Pferdefreund, macht es keinen Sinn, eine Geburtstagsfeier für ihn zu veranstalten. Dennoch sind Inés und er übereingekommen, dass der Tag gebührend gefeiert werden soll. Deshalb bäckt Inés einen Kuchen mit Zuckerguss und pflanzt sechs Kerzen darauf, und sie kaufen ihm heimlich Geschenke, sie einen Pullover (der Winter steht bevor), er ein Rechenbrett (er macht sich Sorgen, weil der Junge sich gegen die Wissenschaft der Zahlen sträubt).
    Die Geburtstagsfeier wird überschattet von einem Brief, der mit der Post kommt, und ihn daran erinnert, dass David mit seinem sechsten Geburtstag im staatlichen Schulsystem angemeldet sein sollte, und für diese Anmeldung seine Eltern oder Betreuer verantwortlich seien.
    Bisher hat Inés den Jungen in dem Glauben bestärkt, dass er zu klug sei, um Schule nötig zu haben, dass das bisschen Betreuung, was er vielleicht brauche, zu Hause erfolgen könne. Aber sein Starrsinn beim
Don Quijote
, seine Behauptung, er könne lesen und schreiben und zählen, wenn er es ganz klar nicht kann, haben sogar bei ihr Zweifel geweckt. Vielleicht wäre es das Beste für ihn, räumt sie jetzt ein, wenn er die Anleitung eines ausgebildeten Lehrers hätte. Deshalb kaufen sie ihm ein drittes, gemeinsames Geschenk, ein rotes Lederetui mit dem Anfangsbuchstaben
D
in Gold in eine Ecke geprägt, darin zwei neue Bleistifte, ein Spitzer und ein Radiergummi. Das schenken sie ihm, zusammen mit dem Rechenbrett und dem Pullover, zu seinem Geburtstag. Das Etui sei sein Überraschungsgeschenk, sagen sie ihm, das die frohe und überraschende Nachricht begleite, dass er bald, vielleicht schon nächste Woche, zur Schule gehen werde.
    Der Junge nimmt die Nachricht reserviert auf. »Ich will nicht mit Fidel gehen«, sagt er. Sie beruhigen ihn: Da Fidel älter ist, wird er in einer anderen Klasse sein. »Und ich will
Don Quijote
mitnehmen«, sagt er.
    Er versucht, dem Jungen auszureden, das Buch mit in die Schule zu nehmen. Es gehört der Ostsiedlungsbücherei, sagt er; wenn es verlorenginge, wüsste er nicht, wie er es ersetzen sollte. Außerdem hat die Schule sicher ihre eigene Bücherei mit ihrem eigenen Exemplar des Buches. Aber der Junge will davon nichts hören.
    Am Montag kommt er früh in die Wohnung, um Inés und den Jungen zur Haltestelle zu begleiten, wo er in den Bus steigt,

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