Die Klaue des Schlichters
bereits hatte. Die Ahnung, daß Jolenta sterben müsse, war mir ein Greuel, und ich hätte viel für einen Bogen gegeben, um den Vogel vom Himmel zu schießen; aber ich besaß nichts dergleichen und konnte nur wünschen.
Nach einer endlos langen Weile gesellten sich zum ersten Vogel zwei weitere, viel kleinere, und an ihrem bunten Kopfgefieder, das gelegentlich sogar von so weit unten sichtbar wurde, erkannte ich sie als Cathariden. Also mußte es sich beim ersten, der eine dreimal so große Flügelspannweite hatte, um einen Teratornis der Berge handeln, der angeblich Bergsteiger anfällt, ihnen mit giftigen Krallen das Gesicht zerfleischt und mit den Handknöcheln seiner mächtigen Schwingen auf sie einschlägt, bis sie in den Tod stürzen. Hin und wieder kamen ihm die beiden anderen zu nahe, so daß der sie angriff. Wenn dies geschah, vernahmen wir manchmal einen schrillen Schrei, der durch das Bollwerk ihrer luftigen Burg herunterdröhnte. Einmal winkte ich den Vögeln in einer grausigen Laune, sich uns anzuschließen. Alle drei glitten herab, und ich schwang mein Schwert gegen sie und winkte nicht mehr.
Als der westliche Horizont sich fast bis zur Sonne gehoben hatte, gelangten wir zu einem niedrigen Haus, einem hüttenartigen Erdbau aus Grassoden. Ein sehniger Mann mit ledernen Überhosen saß auf einer Bank davor, trank Matetee und tat so, als betrachte er das Farbenspiel der Wolken. In Wirklichkeit mußte er uns viel eher als wir ihn gesehen haben, denn er war klein von Statur und sonnengebräunt und verband sich harmonisch mit dem Hintergrund seines kleinen, braunen Heims, während wir uns in der Ebene deutlich vom Himmel abzeichneten.
Ich steckte die Klaue weg, als ich diesen Hirten erblickte, obschon ich mir nicht sicher war, wie der Bulle sich verhielt, wenn sie nicht mehr vor seinen Augen baumelte. In diesem Fall änderte sich sein Verhalten nicht; ruhig trottete er weiter, die Frauen auf dem Rücken tragend. Am Häuschen angekommen, hob ich sie herunter, woraufhin er die Schnauze hob und witterte und mich dann aus einem Auge anstierte. Ich deutete auf das sich wiegende Gras, sowohl um ihm zu zeigen, daß ich seiner nicht mehr bedurfte, als auch um ihm sichtbar zu machen, daß meine Hand leer war. Er wendete und stapfte davon.
Der Hirte zog seinen zinnernen Trinkhalm aus dem Mund. »Das war ein Ochs«, sagte er.
Ich nickte. »Wir haben ihn gebraucht für diese arme Frau, die krank ist, und ihn uns so ausgeliehen. Gehört er dir? Wir haben uns gedacht, dagegen hätte niemand etwas einzuwenden, denn schließlich haben wir keinen Schaden angerichtet.«
»Schon gut.« Der Hirte winkte großzügig ab. »Ich habe nur gefragt, weil ich zunächst gedacht habe, es sei ein Roß. Meine Augen sind nicht mehr die besten.« Er schilderte uns, wie gut sie einst gewesen waren – nämlich außerordentlich gut. »Aber stimmt schon, ’s ist ein Ochs gewesen.«
Jetzt nickten Dorcas und ich gemeinsam.
»Ihr seht, was es heißt, alt zu werden. Ich hätte die Klinge dieses Messers geleckt«, er klopfte auf das metallene Heft, das von seinem breiten Bauchgurt hervorlugte, »und es zur Sonne erhoben und geschworen, daß ich zwischen den Beinen des Ochsen etwas hängen sah. Aber wäre ich kein solcher Narr, wüßte ich, daß niemand die Bullen der Pampas reiten könnte. Der rote Panther kann’s, aber der hält sich mit seinen Klauen fest, und dennoch kostet’s ihn manchmal das Leben. Es war bestimmt ein Euter, daß der Ochs von seiner Mutter erbte. Ich kannte sie, und sie hatte eins.«
Ich sagte, ich sei ein Städter, der sich mit Vieh nicht auskenne.
»Aha«, kam es von ihm, während er seinen Mate trank. »Aber ich weiß noch viel weniger als du. Alle hier sind bis auf mich ein ungebildetes Eklektikervolk. Kennst du diese Leute, die man Eklektiker nennt? Sie wissen nichts – wie soll ein Mann mit solchen Nachbarn etwas lernen?«
Dorcas sagte: »Bitte, dürfen wir diese Frau ins Haus bringen, daß sie sich hinlegen kann. Sie wird, fürcht’ ich, sterben.«
»Ich sagte doch, ich weiß nichts. Du solltest diesen Mann hier fragen – er kann einen Ochsen – fast hätt’ ich Bullen gesagt – wie einen Hund führen.«
»Aber er kann ihr nicht helfen! Nur du kannst’s.«
Der Hirte beäugte mich, als wollte er sich vergewissern, daß ich, und nicht Dorcas, den Bullen bezähmt hatte. »Ich bedauere das mit eurer Freundin«, erklärte er, »die einmal eine sehr schöne Frau gewesen sein muß, wie man sieht. Aber
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