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Die Klaue des Schlichters

Die Klaue des Schlichters

Titel: Die Klaue des Schlichters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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gebracht – es gab eine Zeit, da wäre Euer Kopf auf frisch ausgehobene Erde gerollt, wäre ich nicht gewesen.«
    Er blickte mich nun genauer an, musterte mein Gesicht anstelle von Schwert und Mantel und erwiderte sogleich: »Ja, du warst der Jüngling. Ist es schon so lange her?«
    »Lange genug, Sieur.«
    »Wir wollen das persönlich bereden, aber nun bin ich mitten in einer allgemeinen Aussprache. Stell dich dorthin!« Er deutete auf eine Stelle links vor dem Podest.
    Ich kletterte, gefolgt von Jonas, vom Rücken des Baluchitheriums, und zwei Knechte führten das Tier fort. Dann warteten wir und lauschten Vodalus, der seine Befehle erteilte, seine Pläne vermittelte und Strafen aussprach, was etwa eine Wache dauerte. All das menschliche Prunkwerk von Säulen und Bögen ist lediglich eine Nachahmung der Stämme und Laubkronen des Waldes in sterilem Stein, und hier habe ich den Eindruck gewonnen, daß sich die beiden bis auf die graue oder weiße Farbe des einen und der braunen und hellgrünen des anderen kaum unterschieden. Ich glaubte nun auch zu verstehen, warum alle Soldaten des Autarchen und die Scharen der Beglückten Vodalus nicht zu bezwingen vermochten – er besaß die mächtigste Festung der Urth, viel größer noch als unsere Zitadelle, mit der ich sie verglichen hatte.
    Schließlich entließ er die Menge, und alle Männer und Frauen kehrten an ihre Stellung zurück, während er vom Podest stieg und mit mir sprach, wobei er sich zu mir herabbeugte, wie ich mich über ein Kind gebeugt hätte.
    »Du hast mir einst gedient«, sagte er. »Deshalb will ich dein Leben schonen, was immer auch geschehe, obschon es vielleicht erforderlich ist, daß du noch eine Weile mein Gast bleibst. Wirst du mir, da dein Leben nicht mehr in Gefahr schwebt, noch einmal dienen?«
    Der Eid für den Autarchen, den ich anläßlich meiner Erhebung abgelegt hatte, hatte nicht die Kraft, der Erinnerung an jenen nebligen Abend, mit dem ich diese Erzählung meines Lebens begann, zu widerstehen. Ein Eid ist nur eine schwache Ehrensache verglichen mit dem Wohl, das wir anderen zuteilwerden lassen, was eine Sache von Seele und Geist ist; rette einem das Leben, und du bist ein Leben lang sein. Mir ist oft zu Ohren gekommen, man finde keine Dankbarkeit. Das stimmt nicht – wer das sagt, hat stets an der falschen Stelle gesucht. Wer sich wirklich für das Wohl eines anderen einsetzt, befindet sich im Augenblick auf einer Stufe mit dem Pancreator und wird aus Dankbarkeit für diese Erhebung dem anderen sein Lebtag dienen; und so sprach ich zu Vodalus.
    »Gut!« sagte er und klopfte mir auf die Schulter. »Komm! Nicht weit von hier steht eine gedeckte Tafel. Setz dich mit deinem Freund zu mir, wenn du willst, und ich sage dir, was zu tun ist!«
    »Sieur, ich habe schon einmal Schande über meine Zunft gebracht. Daß ich das nicht wieder muß, ist das einzige, worum ich bitte.«
    »Nichts, was du tust, wird bekannt werden«, erwiderte Vodalus. Und das genügte mir.
     

 
X
 
Thea
     
    Mit etwa einem Dutzend Begleitern verließen wir zu Fuß die Lichtung und fanden eine halbe Meile entfernt im Wald eine Tafel vor. Ich bekam den Platz zu Vodalus Linker, und während die übrigen aßen, tat ich nur so und weidete meine Augen an ihm und seiner Dame, die ich mir so oft ins Gedächtnis zurückgerufen hatte, als ich unter den Lehrlingen in unserem Turm auf meiner Pritsche lag.
    Als ich ihn, wenigstens in meinem Geiste, gerettet hatte, war ich noch ein Knabe gewesen, und einem Knaben erscheinen alle Erwachsenen groß, wenn sie nicht gerade von zwergenhafter Statur sind. Wie ich nun sah, war Vodalus ebenso groß wie Thecla oder größer und Theclas Halbschwester Thea so groß wie sie. Nun wußte ich, daß sie wahrhaft von beglücktem Geblüt und nicht nur Waffenträger wie Sieur Racho waren.
    Es war Thea, in die ich mich zuerst verliebt hatte, die ich verehrte, weil sie zu dem Mann gehörte, den ich gerettet hatte. Thecla hatte ich zunächst geliebt, weil sie mich an Thea erinnerte. Nun (da der Herbst endet und der Winter, Frühling und Sommer wieder ins Land ziehen) habe ich mich wieder in Thea verliebt, weil sie mich an Thecla erinnert.
    Vodalus sagte: »Du schätzt die Weiber«, und ich senkte meinen Blick.
    »Ich bin wenig in feiner Gesellschaft gewesen, Sieur. Bitte verzeiht.«
    »Ich teile deine Vorliebe, also gibt es nichts zu verzeihen.
    Ich hoffe indes, du hast diesen zarten Hals nicht mit der Absicht studiert, ihn zu

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