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Die Klaue des Schlichters

Die Klaue des Schlichters

Titel: Die Klaue des Schlichters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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könnte Barnoch einiges Leid ersparen. Aber das Lügen half nichts; alle drei kicherten sie glucksend, sogar der Tierbändiger, der rittlings auf dem Hals des Baluchitheriums saß.
    Nachdem das Gelächter verklungen war, sagte ich: »Gestern abend bin ich von Saltus nach Nordosten geritten. Nehmen wir nun auch diesen Weg?«
    »Da also bist du gewesen. Unser Herr hat dich gesucht und ist mit leeren Händen zurückgekommen.« Der Mann mit dem Narbengesicht grinste, und ich konnte sehen, daß er sich geschmeichelt fühlte, hatte er doch erreicht, was selbst Vodalus mißlungen war.
    Jonas flüsterte: »Es geht nach Norden, wie du an der Sonne sehen kannst.«
    »Ja«, sagte der Narbige, der offenbar ein feines Gehör hatte. »Nach Norden, aber nicht lange.« Und dann beschrieb er mir, um die Zeit zu vertreiben, wie sein Herr mit den Gefangenen verfuhr, die zumeist höchst primitiv waren und denen sich mehr schauspielerhaftes Getue als wahre Pein entlocken ließ.
    Als hätte eine unsichtbare Hand einen Vorhang über uns ausgebreitet, fielen die Schatten der Bäume auf die Reitkanzel. Das Glitzern von Milliarden Glasscherben und die starren toten Augen ließen wir zurück, und kühler, grüner Hochwald nahm uns auf. Neben diesen gewaltigen Stämmen wirkte sogar das Baluchitherium, das einen Menschen ums Dreifache überragte, klein wie ein trippelndes Tierchen; und wir, die wir auf seinem Rücken ritten, hätten die Zwerge aus einem Kindermärchen auf dem Weg zur ameisenhaufengroßen Burg eines Elfenkönigs sein können.
    Und es kam mir in den Sinn, daß diese Bäume kaum kleiner gewesen waren, bevor ich geboren war, und daß sie gestanden hatten, wie sie nun standen, als ich als Kind zwischen den Zypressen und friedvollen Gräbern unserer Nekropolis spielte, und daß sie noch stehen und sich, wie jetzt, im letzten Licht der sterbenden Sonne baden würden, wenn ich schon so lange tot bin wie jene, die dort ruhen. Ich erkannte, wie wenig Einfluß es auf das Gleichgewicht der Dinge hätte, ob ich lebte oder stürbe, obschon mir mein Leben kostbar war. Und aus diesen beiden Gedanken bildete sich eine Stimmung, aus der heraus ich bereitwillig nach jeder kleinsten Überlebenschance griff, in der ich mich jedoch nicht übermäßig sorgte, ob ich durchkäme oder nicht. Diese Stimmung hat wohl mein Leben gelenkt; sie ist mir ein so guter Freund gewesen, daß ich sie seither stets zu bewahren versucht habe, was mir nicht immer, aber oft gelungen ist.
    »Severian, fehlt dir was?«
    Jonas hatte das gefragt. Ich sah ihn wohl etwas erstaunt an. »Nein. Habe ich so ausgesehn?«
    »Einen Moment lang.«
    »Ich habe mir nur überlegt, wie vertraut mir dieser Ort scheint, und über den Grund dafür nachgedacht. Ich glaube, er erinnert mich an so manchen Sommertag in unserer Zitadelle. Diese Bäume sind fast so hoch wie die Türme dort, und viele der Türme sind mit Efeu bewachsen, so daß bei schönem Sommerwetter das Licht zwischen ihnen diesen smaragdgrünen Schimmer hat. Auch ist es hier so still wie dort …«
    »Ja?«
    »Du mußt schon oft mit Schiffen gefahren sein, Jonas.«
    »Ja, hin und wieder.«
    »Das ist etwas, das ich schon lange gewollt habe. Meine erste Schiffahrt erlebte ich erst, als Agia und ich zur Insel des Botanischen Gartens übergesetzt wurden, meine zweite kurz danach, als wir den Vogelsee überquerten. Es ist das gleiche Gefühl wie auf dem Rücken dieses Tieres, und es ist genauso still, bis auf das gelegentliche Platschen des eintauchenden Ruders. Mir ist nun, als würde ich feierlich auf einem Strom durch die Zitadelle gerudert.«
    Daraufhin machte Jonas ein so ernstes Gesicht, daß ich in Lachen ausbrach und aufstehen wollte, um (wie ich glaube) über die Seite der Reitkanzel zu schauen und ihm etwa mit einer Bemerkung zum Waldboden zu zeigen, daß ich lediglich meiner Phantasie freien Lauf gelassen hatte.
    Kaum hatte ich mich jedoch aufgerichtet, als der Mann mit dem Narbengesicht ebenfalls aufstand, mir den Dolch bis auf Daumenlänge an den Hals hielt und mich aufforderte, mich wieder hinzusetzen. Um ihm eins auszuwischen, schüttelte ich den Kopf.
    Er schwang seinen Dolch. »Setz dich hin, oder ich schlitz’ dir den Bauch auf!«
    »Und bringst dich um die Ehre, mich erwischt zu haben? Das glaube ich nicht. Warte, bis Vodalus erfährt, daß du mich gehabt, aber mit am Rücken gefesselten Händen erstochen hast.«
    Nun wendete sich das Schicksal. Der Bärtige, der Terminus Est hielt, versuchte es zu ziehen, da

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