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Die Klaue des Schlichters

Die Klaue des Schlichters

Titel: Die Klaue des Schlichters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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lebte.
    Nach einem halben Tag umrundeten sie eine Landspitze und bemerkten, daß sich ein tiefer Graben in die Küste schnitt, der kein Ende nahm, sondern sich durch die Hügel des Landes wand, bis er außer Sicht kam. An der Mündung dieses Kanals stand eine Kalotte aus weißem Marmor, von einem Garten umgeben, und hier ließ der Jüngling Anker werfen und ging an Land.
    Kaum hatte er den Fuß auf die Erde der Insel gesetzt, als ihm eine Frau von großer Schönheit, mit dunkler Haut, schwarzem Haar und strahlendem Blick entgegentrat. Er verneigte sich vor ihr und sprach: »Prinzessin oder Königin, ich sehe, du bist keine Kornjungfer. Deren Gewänder sind grün; deines ist schwarz. Doch wärest du auch grün gewandet, ich erkennte dich dennoch, denn deine Augen trauern nicht und das Licht in ihnen ist nicht von Urth.«
    »Du sagst die Wahrheit«, erwiderte die Prinzessin. »Denn ich bin Noctua, die Tochter der Nacht und gleichfalls die Tochter dessen, den zu töten ihr gekommen seid.«
    »So können wir keine Freunde sein, Noctua«, sagte der Jüngling. »Aber laßt uns nicht Feinde sein.« Denn obgleich er nicht wußte, warum, fühlte er sich, der er doch aus Träumen geschaffen war, zu ihr hingezogen; und sie, deren Augen Sternenlicht bargen, zu ihm.
    Hierauf breitete die Prinzessin die Hände aus und erklärte: »Wisse, mein Vater hat meine Mutter gewaltsam genommen und hält mich hier gegen meinen Willen fest, wo ich bald den Verstand verlöre, käme sie nicht am Ende eines jeden Tages zu mir. Wenn du in meinen Augen keinen Kummer siehst, so deshalb, weil ich ihn in meinem Herzen trage. Auf daß ich frei werde, will ich dir gern sagen, wie du meinen Vater herausfordern und besiegen kannst.«
    Alle Jünglinge der Stadt der Zauberer verstummten und umringten sie, um ihr zu lauschen.
    »Zuerst müßt ihr wissen, daß die Wasserstraßen dieser Insel in immer neuen Kurven verlaufen, so daß sie unergründlich sind. Ihr könnt sie keineswegs mit Segeln befahren, sondern müßt zuvor die Öfen anheizen.«
    »Das fürchte ich nicht«, sagte der aus Träumen fleischgewordene Jüngling. »Ein halber Wald wurde kahlgeschlagen, um unsere Kästen zu füllen, und diese großen Räder, die du siehst, werden die Ströme mit Riesenschritten überwinden.«
    Hierauf zitterte die Prinzessin und sagte: »Oh, sprich nicht von Riesen, denn du weißt nicht, was du sagst. Viele Schiffe sind gekommen wie ihr, daß die schlammigen Gründe dieser unermeßlichen Kanäle vor Schädeln weiß sind. Denn es ist die Gepflogenheit meines Vaters, sie durch die Inselchen und Straßen irren zu lassen, bis ihr Brennvorrat aufgebraucht ist – und sei dieser auch noch so groß –, um dann bei Nacht, wenn sie ihn im Schein ihrer erlöschenden Feuer nicht mehr sehen können, über sie zu kommen und sie zu erschlagen.«
    Das betrübte das Gemüt des aus Träumen fleischgewordenen Jünglings, und er versetzte: »Wir wollen ihn suchen, wie wir gelobt haben, aber gibt es keine Möglichkeit, dem Schicksal dieser anderen zu entrinnen?«
    Hierauf dauerte er die Prinzessin, denn allen, die das Traumhafte an sich haben, sind die Töchter der Nacht wenigstens in gewissem Grade hold, und ihm, dem holdesten von allen, insbesondere. Also sagte sie: »Um meinen Vater zu finden, ehe euer letztes Scheit verbrannt ist, braucht ihr nur im dunkelsten Wasser zu suchen, denn wo er vorbeikommt, wirbelt sein mächtiger Leib Schlamm und Schlick auf, so daß ihr ihn entdecken könnt, haltet ihr nur danach Ausschau. An jedem Tag müßt ihr indes die Suche bei Morgengrauen beginnen und am Mittag abbrechen; denn sonst begegnet ihr ihm vielleicht bei Dämmerung, und dann wird es euch übel ergehen.«
    »Für diesen Rat hätte ich mein Leben gegeben«, antwortete der Jüngling, und alle seine Gefährten, die mit ihm an Land gekommen waren, brachen in Jubel aus. »Denn nun werden wir das Ungeheuer gewiß besiegen.«
    Hierauf wurde die besonnene Miene der Prinzessin noch ernster, und sie versetzte: »Nein, das ist nicht gewiß, denn er ist ein schwerer Gegner in einer Seeschlacht. Aber ich weiß eine Kriegslist, die euch helfen mag. Ihr sagt, ihr seid gut gerüstet. Habt ihr Teer zum Auspichen, sollte euer Schiff leckschlagen?«
    »Fässerweise«, sagte der Jüngling.
    »Wenn es zur Schlacht kommt, seht zu, daß der Wind von euch zu ihm bläst. Ist die Schlacht voll entbrannt – was nicht lange dauern wird, habt ihr ihn erst gestellt – laß deine Männer die Öfen mit Teer

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