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Die Klaue des Schlichters

Die Klaue des Schlichters

Titel: Die Klaue des Schlichters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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schwarz beflaggt; Haß und Ekel vor der eigenen Macht – die wie ein Wurm am Herzen nagen – befiel die Zauberer. Denn die Stadt hatte nur ein Gesetz und einen Fluch, doch während das Gesetz das ganze Jahr über herrschte, trat der Fluch im Frühjahr in Kraft. Im Frühjahr wurden die schönsten Jungfrauen der Stadt, die Töchter der Zauberer, in Grün gewandet; und während der milde Frühlingswind mit ihrem goldenen Haar spielte, durchschritten sie unbeschuht das Stadttor und gingen über den schmalen Pfad zur Kaimauer hinab, wo ein schwarz-besegeltes Schiff ihrer harrte. Und wegen ihres goldenen Haares und ihres Gewandes aus grüner Rippseide, und weil es die Zauberer dünkte, sie würden geschnitten wie Getreide, wurden sie Kornjungfern genannt.
    Als der Mann, welcher lange Zeit ein Student des Greises gewesen, aber noch ohne Kapuze war, das Klagen und Weinen vernahm und von seinem Fenster die vorüberziehenden Jungfrauen sah, stellte er alle Bücher beiseite und machte sich daran, Figuren zu zeichnen, wie sie noch kein Mensch gesehen, und in vielen Sprachen zu schreiben, wie es ihn sein Meister einst gelehrt.
     
ZWEITER TEIL
Die Fleischwerdung des Helden
     
    Tag für Tag mühte er sich ab. Wenn das erste Licht am Fenster dämmerte, hatte sein Federkiel viele Stunden der Schinderei hinter sich; und wenn der buckelige Mond sich in den bleichen Türmen verfing, brannte seine Lampe hell. Zunächst war es ihm, als hätte ihn alles, was sein Meister ihn dereinst gelehrt, verlassen, denn vom Morgengrauen bis zum Mondaufgang blieb er in seiner Kammer allein bis auf den Nachtfalter, der hin und wieder, die Insignien des Todes führend, seine unverzagte Kerzenflamme umflatterte.
    Dann schlich, wenn er zuweilen über seinem Tisch einnickte, ein anderer in seine Träume; und da er wußte, wer dieser andere war, hieß er ihn willkommen, waren die Träume auch flüchtig und rasch vergessen.
    Er setzte sein mühsames Werk fort, und das, was er zu erschaffen versuchte, umgab ihn wie Rauch das neue Brennholz, das man auf ein fast erkaltetes Feuer wirft. Zuweilen (und insbesondere wenn er spät oder früh über der Arbeit saß und schließlich und endlich alle Utensilien seiner Kunst beiseite gelegt hatte, um sich zuletzt auf dem schmalen Bette auszustrecken, das für solche vorgesehen war, welche die bunte Kapuze noch nicht verdient hatten) vernahm er, stets in einem anderen Zimmer, die Schritte desjenigen, den er ins Leben zu rufen hoffte.
    Mit der Zeit wurden diese Erscheinungen, die ursprünglich selten und zuerst sogar nur auf solche Nächte beschränkt gewesen waren, in denen zwischen den hellen Türmen der Donner grollte, zur Regel, und unmißverständliche Anzeichen wiesen auf die Anwesenheit des anderen hin: ein Buch, das er seit Jahren nicht aus dem Regal genommen hatte, lag neben einem Stuhl; Fenster und Türen öffneten sich scheinbar selbsttätig; ein Dolch, seit langem ein Zierstück und kaum gefährlicher als ein Trompe-l’oeil-Bild, glänzte, von der Patina befreit, und war wieder scharf.
    Eines goldenen Nachmittags, als der Wind die unschuldigen Spiele der Kindheit mit den frisch befiederten Plantanen spielte, klopfte es an die Tür seiner Studierstube. Da er es nicht wagte, sich umzuwenden oder das, was er fühlte, auch nur im geringsten durch seine Stimme auszudrücken, oder gar von seiner Arbeit zu lassen, rief er nur: »Herein.«
    Wie Tore, die sich bei Mitternacht auftun, obwohl weit und breit keiner ist, öffnete sich die Tür jeweils um Haaresbreite Stück für Stück. Während sie sich bewegte, schien sie Kraft zu sammeln, und als sie so weit offen war (wie er am Geräusch erriet), daß eine Hand hindurchgepaßt hätte, schien der verspielte Wind durchs Fenster zu fahren, um Leben in ihr Herz aus Holz zu tragen. Und als sie (wie er abermals mutmaßte) noch weiter offen war, so weit, daß ein schüchterner Sklave mit einem Tablett hätte hindurchtreten können, schien ein ausgewachsener Orkan sie zu ergreifen und bis zur Wand zurückzuschleudern. Daraufhin vernahm er Schritte hinter sich – schnelle und entschlossene Schritte – und eine Stimme, respektvoll und jugendlich, dennoch von lauterer Männlichkeit, die, an ihn gerichtet, sagte: »Vater, es mißfällt mir, dich stören zu müssen, wenn du in deine Kunst versunken bist. Aber ich bin betrübten Gemütes, und das seit Tagen, und bitte dich bei deiner Liebe für mich, mein Eindringen zu gestatten und mir Mut zuzusprechen.«
    Nun wagte es der

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