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Die Klaue des Schlichters

Die Klaue des Schlichters

Titel: Die Klaue des Schlichters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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sein.«
    »Ich auch«, versetzte ich. »Braune Wüste, die sich auf dem goldenen Visier eines Mannes in Harnisch spiegelte.«
    Er nickte, und sein Zorn legte sich offenbar wieder. Den Schwamm noch in der Hand, machte er sich daran, herunterzusteigen, wobei er sich am Rahmen der Leiter festhielt. »Genau, ganz genau das war’s. Soll ich’s dir zeigen? Es wurde recht ordentlich.«
    »Wir befinden uns woanders, Meister Rudesind. Das war in der Zitadelle. Hier sind wir im Haus Absolut.«
    Der Greis überhörte meinen Einwand. »Wurde recht ordentlich …’s hängt ein Stück dort unten, irgendwo. Diese alten Meister sind im Malen unschlagbar, auch wenn ihre Farben allmählich nachlassen. Ich verstehe was von Kunst, laß dir das gesagt sein. Ich hab’ erlebt, wie Waffenträger und sogar Beglückte die Bilder anschaun und dieses oder jenes dazu sagen, aber Ahnung haben sie keine. Wer hat sich jede winzige Einzelheit genauestens angesehen?« Er pochte sich mit dem Schwamm auf die eigene Brust und beugte sich dann zu mir, um mir etwas zuzuflüstern, obschon der lange Korridor bis auf uns leer war. »Nun sag’ ich dir ein Geheimnis, das keiner von ihnen weiß – einer davon bin ich!«
    Um nicht unhöflich zu sein, bat ich ihn, es mir zu zeigen.
    »Ich such’s, und sag’s dir, hab’ ich’s gefunden. Sie wissen’s nicht, aber deswegen bin ich die ganze Zeit darüber, sie zu reinigen. Ach, ich hätte längst in den Ruhestand treten können. Aber ich bin immer noch hier und arbeite länger als jeder andere bis auf Ultan vielleicht. Er kann das Uhrglas nicht mehr sehn.« Der Greis brach in knarrendes Gelächter aus.
    »Ihr könntet mir vielleicht helfen. Es sind Schausteller hier, die zum Thiasus bestellt sind. Wißt Ihr, wo sie untergebracht sind?«
    »Ich hab’ davon gehört«, antwortete er ungewiß. »Das Grüne Zimmer, so heißt es wohl.«
    »Könnt Ihr mich hinbringen?«
    Er schüttelte den Kopf. »Es gibt dort keine Bilder, also bin ich nie dortgewesen, obwohl’s ein Bild davon gibt. Komm und geh ein Stück mit mir! Ich suche das Bild und zeig’s dir.«
    Er zupfte an meinem Mantel, und ich folgte ihm.
    »Lieber wäre mir, Ihr könntet mich zu jemandem bringen, der mir den Weg zeigen könnt’.«
    »Kann ich auch. Der alte Ultan hat eine Karte in seiner Bibliothek. Sein Knabe wird sie dir holen.«
    »Wir sind nicht in der Zitadelle«, gemahnte ich wiederum. »Wie kommt Ihr überhaupt hierher? Hat man Euch hergebracht, um die da zu reinigen?« »Richtig, ganz richtig.« Er stützte sich auf meinen Arm. »Alles hat seine örtliche Erklärung, merk dir das. So wünschte wohl Vater Inire die seinigen gereinigt, also bin ich hier.« Er hielt inne, um nachzudenken. »Warte doch, ist ja verkehrt. Ich war begabt als Kind, das sollte ich sagen. Meine Eltern, weißt du, unterstützten das, und ich malte stundenlang. Ich erinnere mich, einen ganzen Sommertag hinter unserm Haus gemalt zu haben.«
    Ein schmalerer Korridor hatte sich zu unserer Linken aufgetan, in den er mich nun zog. Obwohl er nur spärlich beleuchtet (eigentlich fast dunkel) und so eng war, daß man nicht die richtige Entfernung dazu einnehmen konnte, hingen hier viel größere Bilder als im Hauptgang: Bilder, die vom Boden bis zur Decke reichten und viel breiter als meine ausgestreckten Arme waren. Soweit ich sehen konnte, handelte es sich um minderwertige Gemälde – reine Farbklecksereien. Ich fragte Rude-sind, wer ihn angehalten hatte, mir von seiner Kindheit zu erzählen.
    »Vater Inire, natürlich«, versetzte er und sah mich an, den Kopf zur Seite geneigt. »Wer sonst, meinst du?« Er senkte die Stimme. »Senil. Das wird gesagt. Ist Wesir für – was weiß ich wie viele Autarchen seit Ymar gewesen. Aber nun bist du still und läßt mich reden. Ich finde den alten Ultan schon für dich.
    Ein Künstler, ein echter, kam an unserem Heim vorüber. Meine Mutter, die so stolz auf mich war, zeigte ihm ein paar meiner Arbeiten. Es war Fechin, Fechin höchstpersönlich. Und das Porträt, das er von mir gemacht hat, hängt bis zum heutigen Tage hier und schaut mit meinen braunen Augen zu einem herunter. Ich sitze an einem Tisch mit ein paar Pinseln und einer Mandarine darauf. Waren mir als Lohn fürs Modellsitzen versprochen.«
    Ich sagte: »Ich glaube nicht, ich habe soviel Zeit, es mir jetzt anzusehn.«
    »So wurde ich selbst Künstler. Recht bald widmete ich mich der Reinigung und Restaurierung großer Werke. Mein eigenes Bild habe ich schon zwei Mal

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