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Die Klaue des Schlichters

Die Klaue des Schlichters

Titel: Die Klaue des Schlichters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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erhielten, um im Hypogeum nach ihm zu suchen. Als der gleiche Aufseher, Odilo, mir vorhin begegnete und ich ihm sagte, Terminus Est sei mir von einem Prätorianer abgenommen worden, hatte er vermutet, ich sei während des Tages, nach Beuzecs Flucht gekommen.
    Was nicht der Fall gewesen war; und deshalb hätte der Prätorianer, der mein Terminus Est trug, es nicht in die verschlossene Kammer unter der zweiten Treppe legen können.
    Ich kehrte wieder zur Kammer mit der herausgerissenen Tür zurück. Im Schein des schwachen Lichtes, das aus dem Korridor hineinfiel, erkannte ich, daß wie bei ihrem Zwilling Regale einst die Wände bedeckt hatten; nun war sie jedoch leer, da die Gestelle entfernt worden waren, um anderswo Verwendung zu finden, wie die unnütz aus den Mauern ragenden Stützen zeigten. Kein einziger anderer Gegenstand war zu sehen, aber mir leuchtete nun ein, daß kein Gardist, der beim Appell eine Inspektion über sich ergehen lassen müßte, den Fuß freiwillig in ein solches Loch voller Staub und Spinnweben setzen würde. Ohne mich damit aufzuhalten, erst den Kopf hineinzustecken, griff ich hinter den Pfosten der ausgebrochenen Tür und spürte – mit einem unbeschreiblichen Gefühl aus Triumph und Vertrautheit – das geliebte Heft in der Hand.
    Ich war wieder ein ganzer Mann. Oder eigentlich mehr als ein Mann: ein Geselle der Zunft. Noch im Korridor vergewisserte ich mich, daß mein Brief noch in der Tasche der Scheide steckte, zog die Klinge, wischte sie ab, ölte sie und rieb sie wieder blank und ging davon, die Schneiden mit Finger und Daumen prüfend. Nun laßt den Jäger im Dunkeln erscheinen!
    Mein nächstes Ziel war, Dorcas wiederzufinden, aber ich hatte keine Ahnung, wo Dr. Talos’ Truppe sich aufhielt, und wußte nur, sie sollten bei einem Thiasus in einem Garten auftreten – in einem der vielen Gärten dieses Parks. Würde ich nun bei Nacht nach draußen gehen, könnten mich die Prätorianer in meinem Schwarz wohl genauso schlecht erkennen wie ich sie. Allerdings fände ich schwerlich Hilfe oder Rat, und sobald sich der östliche Horizont unter die Sonne senkte, würde ich so rasch ergriffen wie damals, als Jonas und ich in die Anlagen geritten waren. Falls ich im Haus Absolut selbst bliebe, könnte ich, wie mich die Erfahrung mit dem Aufseher lehrte, wohl unbehelligt passieren und vielleicht sogar bei jemandem Auskunft einholen; ich kam tatsächlich auf die Idee, jedem, dem ich begegnete, zu erzählen, ich sei selbst zum Fest bestellt (denn daß zu den Feierlichkeiten auch eine Folterung gehören sollte, hielt ich nicht für unwahrscheinlich), habe aber das zugeteilte Quartier verlassen und mich verlaufen. Auf diese Weise gelang es mir vielleicht, den Aufenthaltsort von Dorcas und den übrigen ausfindig zu machen.
    Meinen Plan überdenkend, bestieg ich die Treppe und bog beim zweiten Absatz in einen mir unbekannten Korridor ein. Er war viel länger und üppiger ausgestattet als derjenige vor dem Vorzimmer. Dunkle Bilder in goldenen Rahmen hingen an den Wänden, und auf Podesten dazwischen standen Urnen, Büsten und Schaustücke, für die ich keinen Namen wußte. Die Türen, die von diesem Flur abgingen, lagen hundert oder mehr Schritte auseinander, was auf große Räume dahinter schließen ließ; allesamt waren sie jedoch abgeschlossen, und als ich die einzelnen Klinken probierte, stellte ich fest, daß sie aus einem fremden Metall bestanden und eine mir unvertraute Form hatten, die für Menschenhände unzweckmäßig war.
    Nachdem ich mindestens eine halbe Meile, wie mir schien, durch diesen Korridor gewandert war, sah ich weiter vorn einen Mann, der auf einem hohen Stuhl (wie ich zunächst dachte) saß. Beim Näherkommen entpuppte sich der Stuhl als Trittleiter, worauf ein Greis eines der Bilder reinigte.
    »Verzeiht«, sagte ich.
    Er wandte sich um und blickte verwundert zu mir herab. »Kenn’ deine Stimme, nicht wahr?«
    Nun erkannte ich die seine und das Gesicht obendrein. Es war Rudesind, der Kurator, dem ich vor so langer Zeit begegnet war, als Meister Gurloes mich das erste Mal zum Bücherholen für die Chatelaine Thecla schickte.
    »Vor einer Weile hast du nach Ultan gesucht. Hast ihn denn nicht gefunden?«
    »Doch«, erwiderte ich, »aber das war nicht vor einer Weile.«
    Er schien ungehalten zu werden. »Ich meinte nicht heute! Aber es ist noch nicht lange her. Ich erinnere mich sogar an die Landschaft an der ich gerade gearbeitet habe, also kann’s nicht lange her

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