Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)
rechtsmedizinisches Institut verfügt über unterschiedliche Kernbereiche. Eines der Herzstücke jeder Rechtsmedizin ist die Forensische Pathologie mit dem Sektionssaal. Hier wird in der Regel an mehreren Tischen gleichzeitig obduziert. In größeren, modern ausgestatteten Instituten ist eine Abteilung für Forensische Bildgebung dem Sektionssaal direkt angegliedert; hier werden die Verstorbenen vor der Obduktion mittels postmortaler Mehrschichten-Computertomographie untersucht. In der Vergangenheit nutzte die Rechtsmedizin hauptsächlich das geschriebene und gesprochene Wort, um Sachverhalte und Befunde zu vermitteln – zum Beispiel das Sektionsprotokoll, das zwanzig bis dreißig Seiten umfassen kann, oder die mündlichen Ausführungen des Sachverständigen vor Gericht. Dagegen bieten moderne radiologische Diagnostikverfahren wie die Computertomographie ganz neue Möglichkeiten, was Objektivität und Überprüfbarkeit und damit den Beweiswert der von uns erhobenen Befunde anbelangt.
Die bei der Obduktion gewonnenen Körperflüssigkeiten und Gewebeproben werden in der Abteilung für Forensische Toxikologie untersucht – zum Beispiel, wenn durch die Obduktion die Todesursache (und damit die Todesart) nicht sicher geklärt werden konnte oder ein Vergiftungsverdacht im Raum steht. Hier finden auch Blut- und Urinuntersuchungen sowie Haaranalysen bei Lebenden statt, wenn es etwa um einen vom Gericht oder von der Führerscheinbehörde geforderten Nachweis der Drogenabstinenz einer straffällig gewordenen Person geht.
In unserer Abteilung für Forensische Genetik erstellen wir DNA-Profile. Dabei kann es um die Identifizierung von Toten, von deren skelettierten Überresten oder um Spurenträger gehen – zum Beispiel um eine an einem Tatort aufgefundene Zigarettenkippe, einen Vaginalabstrich nach einem Sexualdelikt oder einen Airbag, der bei einem Verkehrsunfall ausgelöst wurde und die Polizei durch den Nachweis von DNA möglicherweise zum flüchtigen Unfallfahrer führt.
Nur wenigen Zeitgenossen dürfte bekannt sein, dass Rechtsmediziner auch lebende Personen untersuchen. Das ist der Bereich Klinische Rechtsmedizin. Die Kriterien, die wir bei Opfern tödlicher Gewaltverbrechen zugrunde legen, lassen sich auch bei Überlebenden von Straftaten anwenden. Daher sind wir als Spezialisten immer dann gefragt, wenn die Ermittlungsbehörden gerichtsverwertbare Aussagen zu typischen Fragen wie den folgenden wünschen:
Hat sich ein Gewaltverbrechen tatsächlich so zugetragen, wie es von dem vermeintlichen Opfer geschildert wurde? Rühren Verletzungen bei einem Opfer, das selbst keine Angaben zum Geschehen machen kann (zum Beispiel, weil es im Koma liegt oder unter Erinnerungslücken leidet), von einem Sturz oder Schlag her, sind also möglicherweise unfallbedingt entstanden? Können die Angaben eines Vaters, seine dreiwöchige Tochter sei von der Wickelkommode gefallen, zutreffen – oder sind die Verletzungen mit dem geschilderten Geschehensablauf nicht vereinbar, sondern weisen eindeutig auf ein Schütteltrauma hin? Finden sich bei einer Frau, die angibt, vergewaltigt worden zu sein, Verletzungen, die für heftige Gegenwehr der Frau und rohe Gewaltanwendung durch den Täter sprechen?
In einem größeren rechtsmedizinischen Institut arbeiten zwischen vierzig und sechzig Personen: Wissenschaftler unterschiedlichster Disziplinen wie Ärzte, Chemiker, Biochemiker, Apotheker, Biologen, Sektions- und Präparationsassistenten, medizinisch-technische und chemisch-technische Assistentinnen, Sekretärinnen und Schreibkräfte, Kraftfahrer und Studenten mit Minijobs.
Zutritt in ein Institut für Rechtsmedizin haben nur die dort arbeitenden Personen oder Berechtigte von Polizei und Justiz. Sicherheitstüren mit Schlüsseln und Zugangscodes verhindern, dass Unbefugte etwa in die Räume gelangen, in denen Beweismittel asserviert werden. So geordnet ging es in rechtsmedizinischen Instituten jedoch nicht immer zu.
Anfang des 19. Jahrhunderts wurden in vielen deutschen Großstädten Leichenschauhäuser gegründet. Die Zunahme von tödlichen Unglücksfällen, Suiziden und Verbrechen in der Industriegesellschaft machte dies erforderlich. Der Hauptzweck dieser Einrichtungen war es, Angehörigen die Gelegenheit zum Identifizieren vermisster Familienmitglieder zu geben. Schließlich gab es damals noch keine modernen Medien, und kaum ein Toter, der an einer Straßenecke aufgefunden oder aus einem Fluss gezogen wurde, führte persönliche
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