Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)
sie furchtbar gefroren und schrecklich an Hunger und Durst gelitten.
Warum sie dann nicht aus der Colaflasche getrunken habe, kontert Kommissarin Gütlich. Und warum sie die Döner-Portion nicht gegessen habe, die sich gleichfalls in ihrem eigenen Kellerabteil befand.
Zum ersten Mal wirkt Binh Minh irritiert. Allem Anschein nach hat sie nicht daran gedacht, dass die Polizisten auf den Kellerverschlag stoßen und dort die verräterischen Indizien finden würden.
Die Colaflasche habe sie mit ihren auf dem Rücken gefesselten Händen nicht öffnen können, behauptet sie. Und von der Döner-Portion habe sie nichts gewusst.
»Hören Sie auf, uns etwas vorzulügen«, herrscht Halter sie an. »Auch Ihre Blutwerte beweisen ganz klar, dass Sie in den letzten Tagen weder an Nahrungsentzug noch an Flüssigkeitsmangel gelitten haben.«
»Und einer Ihrer Nachbarn war am letzten Sonntag in dem Kellerraum, in dem Sie angeblich gefangen gehalten wurden – und hat nichts Auffälliges bemerkt!«, ergänzt die Kommissarin.
Doch die junge Frau beharrt noch immer darauf, dass alles ganz genauso gewesen sei, wie sie es dargestellt habe. Erst als die Kriminalbeamten erwähnen, dass das Jugendamt ihre Kinder in Obhut genommen habe, bricht sie zusammen.
»Wenn ich nicht bei meinen Kindern sein darf, bringe ich mich um!«, stößt sie hervor.
»Geben Sie jetzt zu, dass Sie die ganze Geschichte erfunden haben!«, fordert Halter sie energisch auf.
Unter Tränen gesteht Binh Minh schließlich die Wahrheit. Letzte Woche habe sie eine Folge der TV-Serie CSI gesehen, in der es um die Verschleppung einer jungen Frau gegangen sei. »Da kam mir die Idee, das nachzustellen, wenn ich das nächste Mal eine Pause von meinem Mann und den Kindern brauche«, räumt sie ein. »Ich wollte niemanden in Schwierigkeiten bringen – bitte glauben Sie mir!«
Sie erleidet einen regelrechten Zusammenbruch. Kriminaloberkommissar Halter unterrichtet den Sozialpsychiatrischen Dienst des Krankenhauses. Daraufhin wird sie zur weiteren Behandlung an einen Psychiater überwiesen.
Die Staatsanwaltschaft stellt das Ermittlungsverfahren gegen unbekannt ein. Von einem Verfahren gegen Binh Minh wird aufgrund ihrer persönlichen Situation und der ohnehin schon bestehenden familiären Belastung der jungen Frau abgesehen.
Kalte Krieger
1998 wandte sich der russische Spion Alexander Litwinenko erstmals öffentlich gegen seine bisherige »Firma«, den Geheimdienst FSB. Er bezichtigte die KGB-Nachfolgeorganisation, weltweit zahlreiche Morde verübt zu haben. Nach seiner Flucht in den Westen offenbarte er sich westlichen Geheimdiensten und erklärte unter anderem, der FSB unterstütze die Terrororganisation al-Qaida. Den russischen Staatspräsidenten und ehemaligen Geheimdienstchef Wladimir Putin bezichtigte er überdies der Pädophilie.
Im November 2006 starb Litwinenko qualvoll in einem Londoner Krankenhaus. Unter starker Anteilnahme der Weltöffentlichkeit siechte der bis dahin gesunde Mittvierziger binnen weniger Wochen dahin. Die Ärzte konnten den zunächst rätselhaften Verfall nicht stoppen. Anfangs nahmen sie an, dass Litwinenko mit der chemischen Substanz Thallium vergiftet worden sei. Erst kurz vor seinem Tod stellte sich heraus, dass der Ex-Agent an der Strahlenkrankheit litt: In seinem Urin fanden sich große Mengen von radioaktivem Polonium-210.
Auf dem Sterbebett gab Litwinenko der Times sein letztes Interview. Darin behauptete er, der Kreml habe ihn ermorden lassen.
Nur vor dem Hintergrund dieser hollywoodtauglichen Agentenstory lässt sich die Geschichte des russischen Ehepaars Makarov verstehen. Als der Russe mit dem gefährlich klingenden Namen und seine Frau Dunja Ende 2009 zum ersten Mal bei der Berliner Charité vorstellig werden, ist die Erinnerung an Alexander Litwinenkos mysteriösen Strahlentod noch frisch.
Sergej Makarov ist damals Mitte fünfzig, seine Frau ein paar Jahre jünger. Beide klagen über Gewichtsverlust, Abgeschlagenheit und Rückenschmerzen. Dr. Jens Herwig, einer der behandelnden Ärzte, untersucht die Hände von Dunja Makarova: Sie sind mit rötlichen Ekzemen bedeckt und stark vernarbt. Die Eheleute äußern den Verdacht, dass sie vergiftet worden seien – und zwar vom russischen Geheimdienst.
Dr. Herwig fällt allerdings auf, dass die Hautveränderungen an Dunja Makarovas beiden Handgelenken wie abgezirkelt enden. »Es sieht aus, als seien die Hände in eine Flüssigkeit eingetaucht worden«, vermerkt der Arzt.
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