Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)
Darüber hinaus können keine medizinischen Ursachen für die Symptome festgestellt werden, über die beide Eheleute klagen.
Sergej Makarov war nach eigenen Angaben bis 1990 in Diensten des KGB. Nach dem Ende der Sowjetunion arbeitete er für eine KGB-Nachfolgeorganisation, den SWR, in Brüssel und Wien. 1992 wurde er entlassen – angeblich, weil er in Wien »auf eine gigantische Korruption in der dortigen KGB-Residentur gestoßen« sei.
Ist Makarov also ein ähnlich hochkarätiger Überläufer wie Litwinenko? Kenner der notorisch undurchsichtigen Agentenszene bezweifeln das. Während seiner aktiven Zeit im Geheimdienst war Makarov lediglich mit der Auswertung von Informationen befasst. Unter anderem bot er sich dem Bundesnachrichtendienst (BND) als Quelle für Insiderwissen über die russische Agentenszene an – doch der BND zeigte kein Interesse.
Im November 2010 erscheinen die Makarovs zum ersten Mal bei uns im Institut für Rechtsmedizin. Beide wirken verängstigt und erschöpft. Nach eigenen Angaben haben sie eine wahre Odyssee hinter sich.
Ganz egal wo in Berlin sie sich einmieteten, in Steglitz, Schöneberg oder Charlottenburg – nach kürzester Zeit hätten ihre Verfolger sie erneut aufgespürt und ihre Wohnung kontaminiert. Dunja Makarova reinigt die jeweilige Wohnung mehrmals täglich mit stark essighaltigen Putzmitteln. Sämtliche persönlichen Besitztümer bewahrt das Ehepaar in verschließbaren Plastiktüten auf. Selbst die Sitzmöbel in ihrem Apartment sind in Plastikfolie gehüllt.
Nachdem sie mehrfach die Polizei alarmiert und behauptet hatten, Opfer von Giftanschlägen zu sein, nahm das Landeskriminalamt schließlich Ermittlungen gegen unbekannt auf. KTU-Teams untersuchten die angeblich kontaminierte Unterkunft des Ehepaars. Außer starkem Essiggeruch konnten sie nichts Auffälliges feststellen. Keine Strahlenbelastung, kein Quecksilber oder andere Giftstoffe.
Doch gegenüber meinem Kollegen, dem Rechtsmediziner Dr. Björn Schaller, klagen die Makarovs erneut über Abgeschlagenheit und Schmerzen im Rückenbereich. Dunja Makarova weist ihre Hände vor, die mit aufgeplatzten und verschorften Ekzemen bedeckt sind. Mein Kollege nimmt den beiden Russen Blutproben ab. Außerdem müssen sie Haar- und Urinproben abgeben.
Aus der Patientenakte der Makarovs geht hervor, dass beide sich bereits einige Monate vorher stationär im Berliner Bundeswehrkrankenhaus behandeln ließen. Angeblich waren sie in ihrem Charlottenburger Hotelzimmer radioaktiv verstrahlt worden. Doch die Ermittlungsbehörden konnten in dem Hotel keinerlei erhöhte Strahlenwerte feststellen. Auch der Gesundheitscheck im Bundeswehrkrankenhaus erbrachte keine nennenswerten Befunde. Die Angst des Ehepaars sei nicht gespielt, erklärte einer der behandelnden Bundeswehrärzte gegenüber den Ermittlern. Die beiden hätten sich in eine pathologische Angst vor angeblichen Giftattacken hineingesteigert.
Das einzige erwähnenswerte Resultat des Krankenhausaufenthalts ist eine unbezahlte Rechnung. Angeblich hatte das Auswärtige Amt Sergej Makarov vorher telefonisch die Übernahme der Kosten zugesagt. Doch daran konnte sich im Außenministerium niemand erinnern.
Die Blut-, Haar- und Urinproben der Makarovs werden bei uns im Labor untersucht. Diesmal ist der Befund in beiden Fällen positiv: Sowohl Sergej Makarov als auch seine Frau weisen stark erhöhte Quecksilberwerte auf!
Fragt sich nur, wie sie mit der hochgiftigen Substanz in Berührung gekommen sind. Aus unserer Sicht ist eine gezielte Selbstbeibringung durchaus möglich.
Wie in solchen Fällen nicht unüblich, gibt das Landeskriminalamt Berlin ein Zweitgutachten in Auftrag, um unsere Resultate und insbesondere deren Interpretation zu überprüfen. Unsere Kollegen vom Rechtsmedizinischen Institut der Universität München sollen anhand der von uns asservierten Blut-, Urin- und Haarproben der Makarovs untersuchen, ob und in welcher Konzentration die beiden Russen mit Quecksilber oder anderen Schwermetallen vergiftet worden sind. Insbesondere sollen die Sachverständigen zu Zeitpunkt und Zeitraum sowie zur möglichen Art der Kontamination Stellung nehmen.
Mit ihrem Gutachten vom Februar 2011 bestätigen die Münchner Rechtsmediziner unsere Ergebnisse. Anhand der Haarproben stellen sie fest, dass das Ehepaar Makarov im Zeitraum August bis November 2010 einmal oder mehrmals mit Quecksilber kontaminiert worden ist. Innerhalb der ersten vier Zentimeter der untersuchten Haarproben
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