Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)
fanden sich doppelt so hohe Quecksilberkonzentrationen wie in den anderen Abschnitten. Da das menschliche Haupthaar um zirka einen Zentimeter pro Monat wächst, muss die Kontamination also innerhalb dieses Vier-Monats-Zeitraums stattgefunden haben. In den Blut- und Urinwerten der Eheleute finden die Gutachter gleichfalls »keine Hinweise für eine chronische oder häufigere Aufnahme von Quecksilber«.
Auf welchem Weg das Schwermetall in den Organismus gelangt ist, können auch die Münchner Rechtsmediziner nicht feststellen. Grundsätzlich kommt orale Aufnahme, also Verschlucken, genauso in Frage wie die Inhalation quecksilberhaltiger Dämpfe.
Ob sich die Makarovs selbst vergiftet haben oder ob ihnen das Quecksilber von Dritten heimtückisch verabreicht wurde, kann aus rechtsmedizinischer Sicht nicht abschließend geklärt werden. Aber die Behauptung der beiden Russen, dass sie mindestens seit März 2010 fortlaufend vergiftet würden, passt nicht zu den Ergebnissen der rechtsmedizinischen Haaranalyse. Die Ekzeme, die im März 2010 an Dunja Makarovas Händen festgestellt wurden, können nicht durch Quecksilberattacken hervorgerufen worden sein. Allem Anschein nach haben sich die Eheleute, kurz bevor sie im November 2010 bei uns im rechtsmedizinischen Institut untersucht wurden, gezielt selbst mit dem Schwermetall vergiftet, um ihrer Story Glaubwürdigkeit zu verleihen.
Zu diesem Schluss gelangt auch das Landeskriminalamt Berlin: Im Januar 2011 stellt es das Ermittlungsverfahren gegen unbekannt ein. »Eine fortdauernde Vergiftung hier in Deutschland kann ausgeschlossen werden«, heißt es im Abschlussbericht. »Gezielte Selbstkontamination durch die Eheleute ist möglich.«
Die Makarovs aber können und wollen sich mit diesem Ergebnis nicht abfinden. Die Ermittlungen seien von interessierter Seite beeinflusst worden, behaupten sie. Anklagend zeigt Dunja Makarova nach der Einstellung des Verfahrens ihre Hände vor: Die Haut ist erneut blutig aufgeplatzt – »Ein eindeutiges Zeichen«, ruft sie aus, »dass wir akut vergiftet werden!« Doch das geheimnisvolle Gift konnte weder in ihrem Organismus noch im Blut ihres Mannes jemals nachgewiesen werden.
Gleichwohl tingelt Sergej Makarov nach wie vor durch die Lande und bietet sein angebliches Insiderwissen feil. Man darf gespannt sein, wo die Eheleute als Nächstes auftauchen und ihre bizarren Giftstorys zum Besten geben werden. Bevor sie in Berlin Verwirrung stifteten, trieben sie in Russland, Estland und Polen das gleiche Spiel.
Da ihm die Geheimdienste die kalte Schulter zeigen, versucht Sergej Makarov mittlerweile sein Glück bei den Medien. Das Bundesamt für Verfassungsschutz stuft die Makarovs schlicht als »Nachrichtenschwindler« ein, »die falsche, verfälschte oder veraltete Informationen … anbieten«. Doch für den österreichischen Kurier beispielsweise darf der » einstige KGB-Analyst und heutige Journalist « Russlands aktuelle Syrien-Politik interpretieren: eine »Fortsetzung des Kalten Krieges mit anderen Mitteln«, urteilt Makarov.
Zumindest für ihn selbst und seine Frau scheint der Kalte Krieg bis heute nicht beendet zu sein.
Lebensgefährliche Mutterliebe
A uf der Station 15C einer großen Kinderklinik im Südwesten Berlins werden ausschließlich schwerstkranke Kinder behandelt. Die meisten von ihnen leiden an Krebs oder lebensbedrohlichen Stoffwechselerkrankungen. Dagegen wirkt der Fall des kleinen Leon Appelt zunächst wenig dramatisch und noch weniger spektakulär.
Anfang September 2007 wird der Junge von seiner Kinderärztin Dr. Ingrid Ranke in die Klinik eingewiesen. Leon ist 18 Monate alt und mit acht Kilo Körpergewicht deutlich unterernährt. Seine Muskeln und Koordinationsfähigkeit sind nicht altersentsprechend entwickelt. Ebenso wie Dr. Ranke stehen Chefarzt Prof. Ulrich Hütterer und seine Stationsärzte vor einem Rätsel. Trotz gründlicher Untersuchung können sie keine organische Ursache für die ernste Gedeihstörung des Kindes finden. Und doch wirkt der Junge schwer krank. Als Leon in der Klinik aufgenommen wird, ist er so schwach, dass er über eine Magensonde mit Nahrung versorgt werden muss.
Um der mysteriösen Erkrankung auf die Spur zu kommen, nehmen Prof. Hütterer und sein Team aufwendige und belastende Untersuchungen an dem Jungen vor. Bei älteren Patienten wird hierfür ein venöser Zugang am Arm oder an der Hand gelegt, um die erforderlichen Schmerz- und Narkosemittel zu verabreichen. Doch die Armvenen des
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