Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kleinbürger (German Edition)

Die Kleinbürger (German Edition)

Titel: Die Kleinbürger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
Vom Netzwerk:
er sie um vier Uhr wiedersah, hatte sie ihre Absichten nicht geändert.
    Mit dem Geld in der Tasche begab er sich in den »Rocher de Cancale«, und es waren vielleicht die verschiedenen Aufregungen, die er während des ganzen Tages durchgemacht hatte, die ihn zu der hastigen und wenig überlegten Art und Weise veranlaßten, in der er den Bruch mit seinen beiden Genossen vollzog. Dieses nicht wohl erwogene Vorgehen entsprach weder seinem natürlichen, noch seinem angenommenen Wesen; aber das Geld, das er noch ganz frisch in der Tasche fühlte, hatte ihn gewissermaßen etwas berauscht und eine Erregung und eine Ungeduld, sich frei zu machen, in ihm wachgerufen, deren er nicht mehr Herr wurde. Er hatte Cérizet beiseite geschoben, ohne Brigitte auch nur gefragt zu haben, und doch hatte er nicht den vollen Mut zu dieser Doppelzüngigkeit aufgebracht, denn er hatte der alten Jungfer eine Entscheidung in die Schuhe geschoben, die er selber getroffen hatte, und die nur der bitteren Erinnerung an seinen Zwist mit dem Manne, der ihn so lange beherrscht hatte, entsprungen war.
    Alles zusammengenommen hatte sich la Peyrade an diesem ganzen Tage nicht als der vollkommen unerschütterliche Mensch gezeigt, wie wir ihn bisher kennen gelernt hatten. Schon beim ersten Mal, als er die fünfzehntausend Franken, die ihm Thuillier gegeben hatte, brachte, hatte er sich zu einer Auflehnung gegen Cérizet hinreißen lassen, die ihn dann zu dem Gewaltakt der Affäre Sauvaignou zwang. Es ist wohl schwieriger, im Glück, als im Unglück fest zu bleiben.
    Der ruhig dastehende Farnesische Herkules gibt einen deutlicheren Begriff von der Fülle seiner Muskelkraft als andere heftige, bewegte und bei ihren anstrengenden Arbeiten dargestellte Herkulesse.

Zweiter Teil
    Jedermann hat von den Schwierigkeiten des Odeons reden hören, dieses verhängnisvollen Theaters, das alle seine Direktoren zugrunde gerichtet hat. Mit Recht oder mit Unrecht blieb aber das Viertel, in dem diese theatralische Unmöglichkeit gelegen ist, davon überzeugt, daß es ein großes Interesse an ihrem Gedeihen habe, und mehr als einmal haben der Bürgermeister und die Spitzen des Bezirks mit einem Mute, der ihnen zur Ehre gereicht, die verzweifeltsten Versuche gemacht, den Kadaver künstlich am Leben zu erhalten.
    Einfluß auf das Theater zu gewinnen, ist zu allen Zeiten eines der Ziele kleinbürgerlichen Ehrgeizes gewesen. Und immer fühlten sich alle die, die nacheinander dem Odeon hilfreich beigesprungen waren, reichlich belohnt, wenn ihnen scheinbar eine Mitwirkung bei der Leitung des Unternehmens zugestanden wurde.
    Es geschah nun bei einer solchen Gelegenheit, daß Minard, als Bürgermeister des elften Bezirks, zum Vorsitzenden des Lesekomitees gewählt worden war mit der Befugnis, zu Beisitzern sich eine Anzahl von Notabeln aus dem Quartier Latin selbst auszusuchen.
    Wir werden bald sehen, wie weit la Peyrade in Wirklichkeit mit seiner Jagd auf Celestes Mitgift gekommen war. Für jetzt mag es genügen, zu sagen, daß seine Bewerbung, deren Entscheidung heranrückte, unvermeidlich ruchbar geworden war; und da bei dieser Sachlage sowohl die Kandidatur des Advokaten Minard, als auch die des Professors Phellion erledigt zu sein schienen, so hatte sich das Vorurteil, dem der alte Minard gegen den alten Phellion Ausdruck gegeben hatte, in ein herzliches Einvernehmen verwandelt; nichts knüpft ein so festes Band vertraulicher Beziehungen wie eine gemeinsam erlittene Niederlage.
    Ohne den bösen Blick väterlicher Rivalität gesehen, würde Phellion für Minard ein Römer von unerschütterlicher Rechtschaffenheit gewesen sein, ein Mann, dessen kleine Abhandlungen von der Universität angenommen waren, also eine Persönlichkeit von erprobtem gesundem Menschenverstände. Als es sich nun für den Bürgermeister darum handelte, das Personal des dramatischen Zollamts, dessen Leiter er sein sollte, zusammenzustellen, hatte er sofort an Phellion gedacht; was aber den großen Bürger anlangt, so hatte er an dem Tage, da ihm ein Platz in diesem erhabenen Tribunal angeboten wurde, das Gefühl, als ob sich eine goldene Krone auf sein Haupt senke.
    Man begreift, daß ein Mann von dem feierlichen Wesen Phellions nicht leichtfertig und nicht ohne eingehende Prüfung eine so hohe heilige Mission, die sich ihm bot, angenommen hatte. Er sagte sich, daß er damit ein Amt, und zwar ein Priesteramt, auszuüben habe.
    »Über Menschen zu Gericht sitzen,« hatte er zu Minard, der sich über sein

Weitere Kostenlose Bücher