Die Kleinbürger (German Edition)
Colleville, Minard und Barniol Stellen vorgelesen habe, als ob die Arbeit von mir wäre, um zu sehen, welchen Eindruck sie auf das Publikum macht; das wäre aber doch noch kein Grund für mich, meinen Namen unter etwas zu setzen, was sie schreiben würden. Willst du dir einen Begriff davon machen, welches Vertrauen ich in dich setze? Die Frau Gräfin von Godollo, der ich gestern mehrere Seiten vorgelesen habe, sagte mir darauf, daß eine solche Broschüre mir Unannehmlichkeiten von Seiten des Staatsanwalts zuziehen könne; denkst du, daß mich das abhalten könnte?«
»Nun,« sagte la Peyrade, »ich meine, das Familienorakel beurteilt die Sache ganz richtig, und ich möchte dich doch nicht gern aufs Schafott bringen.«
»Das sind ja alles Torheiten,« sagte Thullier.
»Hast du die Absicht, mich im Stich zu lassen?«
»Literarische Fragen«, antwortete der Advokat, »bringen die besten Freunde noch leichter auseinander, als politische; ich möchte den Anlaß zu Streitigkeiten zwischen uns vermeiden.«
»Aber lieber Theodosius, ich habe mich doch niemals für einen Schriftsteller ausgegeben, ich glaube, daß ich einen ganz gesunden Verstand besitze, und ich spreche meine Ansicht aus, das kannst du mir doch nicht übelnehmen; und wenn du mir den bösen Streich spielen willst, eine weitere Mitarbeit abzulehnen, dann tust du es, weil du irgend etwas anderes gegen mich auf dem Herzen hast, wovon ich nichts weiß.« »Weshalb denn einen bösen Streich? Es gibt doch nichts einfacheres für dich, als die Broschüre nicht erscheinen zu lassen, du bleibst darum doch derselbe Jérôme Thuillier wie früher.«
»Ich denke, du warst doch selbst der Ansicht, daß diese Publikation für meine künftige Wahl von Nutzen wäre; schließlich habe ich, wie ich dir wiederholen muß, Teile davon schon unsern Freunden vorgelesen; im Munizipalrat habe ich sie angekündigt, und wenn sie jetzt nicht erscheint, dann geht das gegen meine Ehre, denn man wird sagen, daß ich von der Regierung gekauft worden bin.«
»Da brauchst du nur zu sagen, daß du der Freund des unbestechlichen Phellions bist, das wird allen genügen; du könntest ja auch Celeste seinem Affen von Sohn geben, eine solche Verbindung würde dich noch besser gegen jeden Verdacht schützen.«
»Theodosius,« sagte Thuillier jetzt, »du hast etwas, was du mir nicht sagen willst; es wäre doch unsinnig, wenn du wegen eines einfachen Streites um ein Wort deinen besten Freund aufgeben wolltest.«
»Nun ja!« sagte la Peyrade, der nun zu erkennen gab, daß er sich entschlossen habe, sich auszusprechen, »ich kann Undankbarkeit nicht vertragen.«
»Ich ebensowenig,« sagte Thuillier erregt, »und wenn du mir etwas so Niedriges, so Gemeines vorwerfen willst, dann muß ich dich ersuchen, dich näher zu erklären; wir müssen mit dem Herumgerede ein Ende machen: Worüber hast du dich zu beklagen? Was hast du dem, den du noch vor wenigen Tagen deinen Freund nanntest, vorzuwerfen?«
»Nichts und alles«, sagte la Peyrade; »deine Schwester und du, ihr seid zu klug, um offen mit einem Manne zu brechen, der seinen Ruf aufs Spiel gesetzt hat, um euch eine Million in die Hand zu spielen, aber ich bin nicht so harmlos, daß ich nicht auch Andeutungen verstünde; ihr habt Leute um euch, die heimlich damit beschäftigt sind, mich zu vernichten, und Brigitte hat nur die eine Sorge, wie sie auf anständige Weise davon entbunden werden kann, ihre Versprechungen zu halten. Männer wie ich lassen derartige Wechsel nicht protestieren, und ich habe durchaus auch nicht die Absicht, mich aufzudrängen, aber ich muß gestehen, daß ich nicht im entferntesten ein solches Vorgehen erwartet hätte.«
»Höre,« sagte Thuillier bewegt, da er in den Augen des Advokaten eine Träne schimmern sah, der ihn damit völlig an der Nase herumführte, »ich weiß nicht, was dir Brigitte getan hat, aber eins ist sicher, daß ich jedenfalls nie aufgehört habe, dein wärmster Freund zu sein.«
»Nein,« sagte la Peyrade, »seit dem Fehlschlag mit dem Orden bin ich, wie man sagt, nicht mehr gut genug, um den Hunden vorgeworfen zu werden. Kann ich denn gegen geheime Gegenströmungen ankämpfen? Mein Gott, vielleicht war die Broschüre, von der du schon viel zu viel geredet hast und die die Regierung beunruhigt, das Hindernis für deine Ernennung. Die Minister sind ja so dumm, sie warten lieber ab, bis ihnen durch den Lärm, den die Veröffentlichung macht, die Hände gebunden sind, anstatt gutwillig ein Opfer zu
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