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Die Kleinbürger (German Edition)

Die Kleinbürger (German Edition)

Titel: Die Kleinbürger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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vergißt zu essen, oder er nimmt die Speisen in einem Zustande von Zerstreutheit zu sich, wie ihn die medizinische Wissenschaft als sehr unheilvoll für die Verdauungstätigkeit ansieht; an seine Pflicht, an seine laufende Tagesarbeit muß man ihn, der sonst so pünktlich ist, erinnern; und neulich, als er auf der Sternwarte war, wo er jetzt alle Abende zubringt und von wo er erst zu ungewöhnlicher Zeit zurückkehrt, entschloß ich mich, in sein Zimmer zu gehen und in seinen Papieren herumzustöbern: ich war entsetzt, gnädige Frau, als ich hier ein Heft voller algebraischer Berechnungen fand, die einen derartigen Umfang hatten, daß sie mir die Fassungskraft des menschlichen Geistes zu überschreiten schienen.«
    »Vielleicht«, sagte die Gräfin, »ist er auf dem Wege zur Lösung irgendeines wichtigen Problems.«
    »Oder auf dem Wege zum Wahnsinn«, sagte Frau Phellion seufzend mit leiser Stimme.
    »Das ist nicht sehr wahrscheinlich,« sagte Frau von Godollo; »bei einem so ruhigen Gemüte und einem so klaren Verstande ist man einer solchen Gefahr nicht ausgesetzt. Aber ich weiß, daß ihm zwischen heute und morgen eine viel größere droht, wenn wir nicht heute abend den entscheidenden Schlag führen: nämlich die, daß Celeste definitiv für ihn verloren ist!«
    »Wie das?« fragte das Ehepaar Phellion gleichzeitig.
    »Sie wissen wohl nicht,« fuhr die Gräfin fort, »daß in bezug auf eine Heirat zwischen Celeste und Herrn de la Peyrade Thuillier und seine Schwester Verpflichtungen eingegangen waren?«
    »Wenigstens glaubten wir nicht recht daran«, antwortete Frau Phellion.
    »Nur war die Ausführung dieses Projekts auf einen ziemlich entfernten Zeitpunkt verschoben und an gewisse Bedingungen geknüpft. Herr de la Peyrade sollte, nachdem er den Ankauf des Hauses bei der Madeleine vermittelt hatte, Herrn Thuillier das Kreuz verschaffen, ihm eine politische Broschüre schreiben und ihm schließlich zu einem Sitz in der Deputiertenkammer verhelfen. So wie in den Ritterromanen, wo der Held, um die Hand der Prinzessin zu erwerben, dazu verdammt war, irgendeinen Drachen zu töten.«
    »Wie geistvoll die gnädige Frau ist!« sagte Frau Phellion zu ihrem Manne, der ihr durch ein Zeichen zu verstehen gab, daß sie nicht unterbrechen solle.
    »Ich habe nicht die Zeit,« fuhr die Gräfin fort, »und es wäre auch ziemlich überflüssig, Ihnen Näheres über die Schliche mitzuteilen, durch die es Herrn de la Peyrade gelungen ist, die Wartezeit abzukürzen; aber was Sie wissen müssen, ist, daß dank seiner Zweideutigkeit Celeste vor die Wahl zwischen ihm und Herrn Felix gestellt worden ist; daß dem armen Kinde vierzehn Tage gewährt wurden, um es sich zu überlegen und sich zu entscheiden; daß morgen die verhängnisvolle Frist abläuft und daß endlich, bei dem traurigen Gemütszustande, in den sie das Verhalten Ihres Herrn Sohns versetzt hat, die sehr ernste Gefahr besteht, daß sie den bösen Ratschlägen ihres Liebeskummers ihr Ohr schenkt und ihr wahres natürliches Empfinden zum Opfer bringt.«
    »Aber was sollen wir dabei tun, gnädige Frau?« fragte Phellion.
    »Kämpfen, mein Herr! Heute abend mutig bei Thuilliers erscheinen und Herrn Felix dazu bestimmen, daß er Sie begleitet; ihm predigen, daß er von der Unbeugsamkeit seiner philosophischen Ansichten ein wenig nachlassen solle. Paris, hat Heinrich IV. gesagt, ist wohl eine Messe wert; im übrigen soll er solchen Diskussionen ausweichen; er soll in seinem Herzen die Töne finden, die imstande sind, ein Mädchen, das ihn liebt, zu rühren; wenn ihm das gelingt, was hat er dann für einen Vorsprung! Ich werde da sein, ich werde ihn mit allen meinen Kräften unterstützen, und vielleicht werde ich auch, wenn die Gelegenheit mir günstig ist, ein Mittel finden, das meinen Beistand noch wirksamer macht. Das ist jedenfalls sicher, daß wir heute abend eine große Schlacht liefern müssen und daß, wenn nicht jeder nach besten Kräften seine Pflicht tut, der Sieg diesem la Peyrade zufallen kann.«
    »Mein Sohn ist nicht hier, gnädige Frau,« antwortete Phellion, »und ich bedaure das, denn vielleicht hätten Ihre hingebenden Bemühungen und Ihre warmen Worte vermocht, ihn aus seiner Stumpfheit aufzurütteln; aber ich werde ihm die ganze Bedrohlichkeit der Lage vor Augen führen, und ganz sicher wird er uns heute abend zu unsern Freunden, den Thuilliers, begleiten.«
    »Es ist überflüssig zu sagen,« fügte die Gräfin hinzu und erhob sich, »daß wir peinlich

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