Die Kleinbürger (German Edition)
alles vermeiden müssen, was den Gedanken an ein Einvernehmen zwischen uns erwecken könnte; wir werden auch dort uns nicht miteinander unterhalten, und wenn sich das nicht von selbst machen sollte, ist es besser, wenn wir überhaupt nicht miteinander sprechen.«
»Rechnen Sie auf meine Vorsicht, gnädige Frau,« erwiderte Phellion, »und wollen Sie gleichzeitig die Versicherung ...«
»Ihrer ausgezeichnetsten Hochachtung entgegennehmen«, unterbrach ihn lächelnd die Gräfin.
»Nein, gnädige Frau,« erwiderte Phellion mit Würde, »diese Formel verspare ich mir für den Schluß meiner Briefe; Sie bitte ich, von meiner wärmsten und unerschütterlichsten Dankbarkeit überzeugt sein zu wollen.«
»Davon wollen wir reden, wenn die Gefahr vorüber sein wird,« sagte Frau von Godollo, während sie sich der Tür näherte; »wenn Frau Phellion, die zärtlichste und tugendreichste Mutter und Gattin, mir ein Plätzchen in ihrem Herzen gewähren will, so werde ich mich für meine Bemühungen reichlich belohnt sehen.«
Frau Phellion erschöpfte sich darauf in endlosen Komplimenten. Als die Gräfin schon weit weg war, verfolgte sie Phellion, der sie bis zum Wagen begleitet hatte, noch immer mit den respektvollsten Verbeugungen.
In dem Verhältnis wie in Brigittes Salon die Elemente des Quartier Latin nicht mehr ständig, sondern nur seltener erschienen, zeigte sich hier jetzt mehr das moderne Paris. Unter seinen Kollegen im Generalrate und unter den höheren Beamten der Seinepräfektur hatte der Munizipalrat sich einen wertvollen Ersatz geschaffen; der Bürgermeister und die Beigeordneten des Bezirks, denen Thuillier, als er in das Viertel zog, seinen Besuch gemacht hatte, hatten sich beeilt, diese Höflichkeit zu erwidern, und es befanden sich darunter auch einige höhere Offiziere der ersten Legion. Das Haus selbst hatte sein Kontingent dazu gestellt, und mehrere neu eingezogene Mieter hatten mit dazu beigetragen, den sonntäglichen Zusammenkünften ein anderes Aussehen zu verleihen. Unter ihnen muß auch Rabourdin genannt werden, der frühere Bureauchef Thuilliers im Finanzministerium. Nachdem er das Unglück gehabt hatte, seine Frau zu verlieren, deren Salon in früherer Zeit dem der Frau Colleville Konkurrenz gemacht hatte, bewohnte Rabourdin als Witwer den dritten Stock über den Räumen, die an Cardot, den gewesenen Notar, vermietet waren. Dieser hatte infolge übler Unregelmäßigkeiten freiwillig sein öffentliches Amt aufgegeben. Zu der Zeit, wo Thuillier wieder mit ihm zusammentraf, war er Direktor einer der zahlreichen Gesellschaften der projektierten Eisenbahnen, deren Bau infolge von Bedenken und parlamentarischen Rivalitäten immer wieder hinausgeschoben wurde. Nebenbei mag bemerkt werden, daß das Zusammentreffen mit diesem gewandten Verwaltungsmann, der eine wichtige Persönlichkeit in der Finanzwelt geworden war, dem würdigen, ehrenwerten Phellion Gelegenheit gab, seine Charakterstärke zu zeigen. Seit seiner Entlassung, die Rabourdin hatte nehmen müssen, war ihm in seinem Unglück von den Beamten seines Bureaus allein Phellion treu geblieben. Da er nun in der Lage war, über eine große Anzahl von Stellen verfügen zu können, so beeilte sich Rabourdin, als er seinem »Getreuen« wieder begegnete, ihm eine ebenso bequeme wie einträgliche Stellung anzubieten.
»Mein Herr,« gab ihm Phellion zur Antwort, »Ihr Wohlwollen rührt und ehrt mich, aber ich muß Ihnen freimütig ein Geständnis machen, das Sie gefälligst nicht übel aufnehmen wollen: ich habe kein Vertrauen zu den Eisenbahnen oder ›railways‹, wie sie die Engländer nennen.«
»Darüber kann jeder seine Ansicht haben,« sagte Rabourdin lächelnd, »aber vorläufig besolden wir unsere Angestellten sehr anständig, und ich würde glücklich sein, Sie in dieser Eigenschaft an meiner Seite zu sehen. Ich weiß aus Erfahrung, daß Sie ein Mann sind, auf den man sich verlassen kann.«
»Mein Herr,« entgegnete der große Mitbürger, »ich habe damals nur meine Pflicht getan, nicht mehr; was aber das Anerbieten anlangt, das Sie so gütig sind, mir zu machen, so kann ich es nicht annehmen; mein bescheidenes Vermögen genügt mir, ich fühle weder das Bedürfnis noch den Wunsch, mich wieder der Verwaltungslaufbahn zuzuwenden, und sage mit dem römischen Dichter: Claudite jam rivos, pueri, sat prata biberunt.« Während der Salon der Thuilliers so in bezug auf die Gäste vornehmer geworden war, bedurfte er auch noch eines andern belebenden
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