Die Kleinbürger (German Edition)
sein Kompliment so kühl auf, daß das beinahe an Unhöflichkeit grenzte, und ihr feindliches Verhältnis wurde damit nur noch verschärft.
Er begab sich zu Frau Colleville, um sich hier zu trösten. Flavia machte noch zu sehr den Anspruch, für eine Schönheit zu gelten, als daß sie nicht feindliche Gefühle gegen eine Frau gehegt hätte, die imstande war, alle Huldigungen auf sich zu ziehen.
»Finden Sie auch, daß diese Frau gut singt?« fragte Frau Colleville verächtlich den Advokaten.
»Ich habe es ihr wenigstens gesagt,« antwortete la Peyrade, »da neben ihr für Brigitte ja niemand existiert. Aber achten Sie doch ein bißchen auf Ihre Celeste: sie läßt die Tür nicht aus den Augen, und bei jedem Tablett, das erscheint, malt sich, obgleich die Zeit, wo noch jemand kommen kann, vorüber ist, die Enttäuschung auf ihrem Gesichte.«
Hier muß beiläufig erwähnt werden, daß, seitdem Frau von Godollo im Hause regierte, im Salon an den Empfangsabenden Tabletts herumgereicht wurden, die reich mit Eis, kleinen Kuchen und Limonaden von Tanrade, dem besten Lieferanten, beladen waren.
»Lassen Sie mich doch in Ruhe!« erwiderte Flavia. »Ich weiß recht gut, was dem dummen Ding im Kopfe steckt, und Ihre Heiratsgeschichte fehlt mir gerade noch!«
»Aber tue ich das denn um meinetwillen?« sagte la Peyrade; »unterziehe ich mich denn nicht nur einer Notwendigkeit, um uns allen eine glückliche Zukunft zu sichern? So, jetzt fangen Sie auch noch an zu weinen! Ich lasse Sie allein, Sie sind ja unvernünftig; Teufel noch mal! Wie sagt dieser Prudhomme, dieser alte Phellion? Wer das Ziel will, muß auch die Mittel dazu wollen!«
Und er näherte sich der Gruppe, die von Celeste, Frau Thuillier, Frau von Godollo, Colleville und Phellion gebildet wurde.
Frau Colleville folgte ihm; und da sie infolge der Eifersucht, die sie eben hatte erkennen lassen, eine grimmige Mutter geworden war, sagte sie:
»Celeste, warum singst du nicht? Mehrere Herren wünschen dich zu hören.«
»Oh, Mama!« sagte Celeste, »nach der gnädigen Frau singen, ich, mit meinem dünnen Stimmchen! Außerdem bin ich ja, wie du weißt, etwas erkältet.«
»Das heißt, du bist wie immer anspruchsvoll und unliebenswürdig; man singt, wie man kann, jede Stimme hat ihren Reiz.«
»Meine Liebe,« sagte Colleville, der eben zwanzig Franken am Spieltische verloren hatte, und in seiner üblen Laune den Mut fand, eine seiner Frau widersprechende Ansicht zu äußern, »man singt wie man kann, das ist ein bourgeoismäßiger Grundsatz; man singt, wenn man eine Stimme hat, und vor allem singt man nicht nach der Frau Gräfin, die eine Stimme wie eine Opernsängerin hat; ich dispensiere Celeste durchaus davon, uns eins ihrer kleinen schmachtenden Liedchen vorzuwimmern.«
»Es hat sich wirklich gelohnt,« sagte Flavia und verließ die Gruppe, »teure Lehrer zu bezahlen, damit du dann zu nichts fähig bist.«
»Also Felix,« sagte Colleville zu Phellion, indem er das durch das Herantreten der Frau Colleville unterbrochene Gespräch wieder aufnahm, »verweilt nicht mehr auf der Erde? Er bringt sein Leben unter den Sternen zu?«
»Mein lieber alter Kollege,« sagte Phellion, »ich bin, ebenso wie Sie, sehr böse auf meinen Sohn, wenn ich sehe, wie er die ältesten Freunde unserer Familie vernachlässigt; und wenn auch die Betrachtung der ungeheuren Leuchtkörper, die die Hand des Schöpfers im Weltenraume aufgehängt hat, nach meiner Meinung mehr Interesse verdient, als Ihr menschliches Hirn ihr zuzubilligen scheint, so finde ich doch, daß Felix, wenn er nicht, wie er mir versprochen hat, heute abend noch käme, gegen jede Schicklichkeit verstoßen würde; und ich würde ihm das, ich verspreche es Ihnen, nicht verhehlen.«
»Die Wissenschaft,« sagte la Peyrade, »ist eine schöne Sache, aber es ist ein Unglück, daß sie ihre Vertreter zu Bären und zu Besessenen macht.«
»Nicht gerechnet,« sagte Celeste, »daß sie auch jeden religiösen Begriff vernichtet.«
»Darin täuschen Sie sich, mein Kind«, sagte die Gräfin. »Pascal, der selbst das beste Beispiel darbietet, wie falsch Ihre Ansicht ist, hat, wenn ich mich nicht irre, gesagt, daß wenig Wissenschaft uns von der Religion entfernt, daß viel Wissenschaft aber uns zu ihr zurückführt.«
»Alle Welt, gnädige Frau,« sagte Celeste, »ist aber doch darin einig, daß sie Herrn Felix für einen großen Gelehrten hält; wenn er meinem Bruder Nachhilfestunden gab, war, wie Franz sagte, nichts so klar
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