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Die Kleinbürger (German Edition)

Die Kleinbürger (German Edition)

Titel: Die Kleinbürger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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und so verständlich wie seine Erklärungen; und Sie sehen, daß er darum trotzdem nicht gläubiger ist.«
    »Ich erkläre Ihnen, mein gutes Kind, daß Herr Felix kein Ungläubiger ist und daß mit ein wenig Sanftmut und Geduld es sehr leicht wäre, ihn zu bekehren.«
    »Einen Gelehrten zu den Gebräuchen der Kirche bekehren? Gnädige Frau, das scheint mir eine schwierige Sache zu sein«, sagte la Peyrade. »Der Gegenstand ihrer Studien steht diesen Herren über allem. Sagen Sie doch einem Geographen, einem Geologen, daß die Kirche zum Beispiel streng auf die Heiligung des Sonntags hält und jede Art von Arbeit verbietet, darüber werden die Herren nur die Achsel zucken, obgleich Gott selbst nicht verschmäht hat, sich auszuruhen.«
    »Das ist doch wahr,« sagte Celeste harmlos, »wenn Herr Felix heute abend nicht herkommt, so verstößt er dadurch nicht bloß gegen die Schicklichkeit, sondern er begeht auch eine Sünde.«
    »Aber sagen Sie mir doch, meine Allerschönste,« erwiderte Frau von Godollo, »finden Sie, wenn wir hier zusammen sind, um Romanzen zu singen, Eis zu essen und Übles über unsern Nächsten zu reden, daß dies Gott viel angenehmer ist, als wenn ein Gelehrter von den herrlichen Geheimnissen seiner Schöpfung auf der Sternwarte sich Rechenschaft abzulegen versucht?«
    »Alles hat seine Zeit,« sagte Celeste, »und Gott selbst hat, wie Herr de la Peyrade sagte, nicht verschmäht, auszuruhen.«
    »Aber, liebe Freundin,« sagte Frau von Godollo, »Gott hatte auch Zeit dazu, er ist ja ewig.«
    »Das ist eine der reizendsten und geistvollsten Gottlosigkeiten,« sagte la Peyrade, »die man sich denken kann, und die Weltleute geben sich mit solchen Begründungen zufrieden. Man legt die Gebote Gottes aus, auch wenn sie noch so streng und deutlich sind; je nachdem beobachtet man sie oder kümmert sich nicht um sie, man macht beliebige Unterschiede; der Freidenker unterwirft sie seiner eigenmächtigen Prüfung, und wie wenig weit ist es vom freien Denken zum freien Handeln!«
    Während dieser Tirade des Advokaten hatte Frau von Godollo die Uhr beobachtet: sie zeigte auf halb Zwölf. Der Salon leerte sich allmählich. Es wurde nur noch an einem Tische gespielt, an dem Thuillier, der alte Minard und zwei neue Bekanntschaften des Hauses saßen. Phellion hatte die Gruppe, bei der er sich aufgehalten hatte, eben verlassen, um sich seiner Frau zu nähern, die in einer Ecke mit Brigitte plauderte, und seine lebhafte Gebärdensprache zeigte, daß er tief entrüstet war. Alles wies darauf hin, daß die Hoffnung, den Säumigen noch erscheinen zu sehen, aufgegeben werden mußte.
    »Mein Herr,« sagte die Gräfin zu la Peyrade, »erweisen Sie den Herren aus der Rue des Postes die Ehre, sie für gute Katholiken zu halten?«
    »Daran ist doch nicht zu zweifeln,« sagte der Advokat, »die Religion besitzt keine festeren Stützen.«
    »Nun,« fuhr die Gräfin fort, »heute morgen hatte ich das Glück, von dem Pater Anselm empfangen zu werden. Dieser gute Pater ist nicht nur ein Muster aller christlichen Tugenden, sondern er gilt auch gleichzeitig für einen sehr gelehrten Mathematiker.«
    »Ich habe nicht behauptet, gnädige Frau, daß diese beiden Verdienste einander ausschließen.«
    »Sie haben aber behauptet, daß ein guter Christ am Sonntag keinerlei Arbeit vornehmen dürfe, danach müßte der Pater Anselm direkt ein Ungläubiger sein, denn als ich in sein Zimmer trat, fand ich ihn vor einer Tafel, ein Stück Kreide in der Hand, mit einem gewiß ziemlich schwierigen Problem beschäftigt, denn die Tafel war zu drei Vierteln mit algebraischen Zeichen bedeckt, und ich muß hinzufügen, daß ihn das Ärgernis nicht sehr zu bekümmern schien, da jemand, den ich nicht nennen darf, der aber ein junger, sehr hoffnungsvoller Gelehrter ist, ihm bei dieser profanen Beschäftigung half.«
    Celeste und Frau Thuillier sahen sich an und beide erblickten in den Augen der andern etwas wie einen Hoffnungsstrahl.
    »Weshalb können Sie uns diesen jungen Gelehrten nicht nennen?« sagte schließlich Frau Thuillier, die noch niemals einen Gedanken so gut ausgedrückt hatte.
    »Weil er nicht, wie der Pater Anselm, den Ruf der Heiligkeit besitzt, die ihn von einer so flagranten Verletzung der Sonntagsheiligung lossprechen könnte; und außerdem,« fügte Frau von Godollo mit bedeutsamer Gebärde hinzu, »hat er mich gebeten, nicht zu verraten, wo ich ihn getroffen hätte.«
    »Sie kennen also viele junge Gelehrte?« fragte Celeste; »dieser

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